Von Claus Lochbihler, Fotos von Ralf Dombrowski – Soulful und jazzig, das wären gern viele Sänger. Schon deshalb, weil man dann nicht nur das überschaubare Jazzpublikum, sondern auch die vielen Soulfans, vielleicht sogar den einen oder anderen Hip-Hop-sozialisierten Jungen erreicht. Und so nicht nur kleine Clubs oder philharmonisch-steife Konzertsäle wie den Gasteig füllt, sondern auch lässigere Orte wie die Muffathalle. Und das im wortwörtlichen Sinne: Die Halle war beim Konzert vorgestern Abend so ausverkauft und voll, dass sich Gregory Porter nach zwei Nummern bei seinen Fans für die „fast schon illegal“ volle Venue bedankte. Soulful und zugleich jazzig wären gerne viele. Gregory Porter ist es. In Balladen wie „Wolfcry“ oder „Hey Laura“ klingt er so sahnig und klar wie Nat King Cole, den er als kleiner Junge einst als seinen Ersatzvater adoptierte, weil sich der leibliche Vater davon gestohlen hatte.
Dabei kommt Porter nie kitschig rüber – selbst wenn er von Vögeln mit gebrochenen Flügeln singt, wie in „No Love Dying“, seinem Plädoyer dafür, den Glauben an die verändernde Kraft von (Nächsten-) Liebe, Fürsorge und Engagement niemals aufzugeben. Gregory Porter singt solche Songs mit einem Charisma, das sich aus einer mächtigen Stimme und einem breiten, wohlwollenden Lächeln nährt.
Auch als Typ hebt sich Gregory Porter von so vielen anderen Jazzsängern und –sängerinnen angenehm ab: Da steht keiner auf der Bühne, der für seinen Live-Act auf Crooner, Diva oder irgendeinen anderen Archetypus des Image-Marketing macht. Kein Sinatra- oder Sonstwas-Darsteller, wo das Posen so wichtig oder gar wichtiger ist als der Gesang. Auch niemand, wo sich das Great American Songbook retromäßig noch einmal – zum wievielten Male? – selbst verdaut. Sondern einer, der so ungewöhnlich gut singt wie er mit seiner seltsamen Kopf- und Halsbedeckungs-Kombi aus Mütze und Schal aussieht. Und der den Großteil seiner Lieder wie ein Singer-Songwriter selbst schreibt.
Porters Jazz spielt sich ganz nah an den afro-amerikanischen Wurzeln ab: Die Gospel-Kirche ist ihm näher ist als der Big-Band-Swing von Sinatra & Co., was man jedes Mal von Neuem merkt, wenn Porter seinen Gospel-Handclapping-Hit „Liquid Spirit“ anstimmt. Wenn jemals die Muffathalle zu einer Art Gospel-Kirche wurde, dann mit Gregory Porter an diesem Abend. Ein Song über den flüssigen Spirit, den jeder aus sich heraus freien Lauf lassen solle. So wie man einen eingedeichten Fluß wieder frei fließen lässt, damit die Durstigen flussabwärts – und das ist bei diesem Song jeder im Publikum – ihren Durst stillen können. „Liquid Spirit“ verwandelte die Halle in eine ekstatische Musiktaufe aus geklatschten Rhythmen und einer Metaphorik, in der Message und Musikerleben auf einmal eins werden. Wenn auf einmal alle – oder doch zumindest sehr viele – glauben, dass sich ihr Leben gerade durch einen Song zum Besseren wendet, dann passiert das, was man Soul nennt. Mag sein, dass der gute Vorsatz zum „Liquid Spirit“ bald versiegt – aber diese kathartischen fünf Minuten kann einem keiner nehmen. Nicht einmal man selbst.
Porters Stimme hat aber auch ein reiches Bouquet an Soul-Einflüssen: Von Bill Withers über Donny Hathaway, den Soul-Jazz eines Oscar Brown Jr. bis hin zu den poetisch-politischen Messages von Terry Callier bis Gil Scott-Heron reicht das Spektrum seiner Stimme, mit der er Vorbilder und Vorfahren wie Marvin Gaye oder Ellington auch immer wieder name-checkt– wie in „On My Way to Harlem“. Wenn es aktuell jemanden gibt, der als Sänger das stilistische Kontinuum afro-amerikanischer Musik verkörpert – von Jazz bis Soul -, dann Gregory Porter.
Die Band um den Pianisten Chip Crawford am Flügel ging kaum weniger ab als der Sänger. Allerdings hatte Yosuke Sato am Altsaxofon neben starken auch schwächere Momente. Zu oft verlegt er sich darauf, Porters Stimme mit Saxofon-Girlanden zu umspielen. Und bei manchen Soli klingt er wie ein praller Sack voller Noten, in den jemand aus Versehen ein Loch gebohrt hat.
Was es definitiv nicht gebraucht hätte, war Max Herre, der den Konzertflow mit kurzen Auftritten („Vida“, „So wundervoll“) unangenehm unterbrach. Zum einen weil weniger Max Herre mehr Gregory Porter bedeutet hätte. Zum anderen, weil es schade ist, einen Sänger wie Gregory Porter zum Refrain-Lieferanten zu degradieren. Außerdem klingt Max Herres Deutschrap leider tatsächlich nach gereimter, „kalenderblattartiger Hoffnungshymnik“ (E. Pfeil/FAZ). Eine bessere Idee wäre es gewesen, Myles Sanko, den Sänger aus dem Vorprogramm auf die Bühne zu holen: Dann wüsste man besser, wie sich der möglicherweise neue Gregory Porter neben dem alten so macht. Schade auch, dass von Roberto Di Gioia am Wurlitzer, der mit Herre auf die Bühne kam, kaum was zu hören war. Niemand nämlich wurlitzert so schön wie Di Gioia.