In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Motivationen auf das Thema Improvisation geschaut – was die Improvisation ausmacht, was sie bewirken kann, vor welche Probleme sie den Improvisierenden stellt und wie sie helfen kann, Probleme zu lösen.
Mal sind die Einträge innerhalb eines vorher definierten Rahmens entstanden (solo over changes, sozusagen…), mal wusste ich bis zuletzt nicht, was und über welches Thema ich schreiben würde.
So sind Texte entstanden, die teils wohlüberlegt und geordnet daherkamen, teils aber auch unrund waren und mit denen ich, wie ich gestehen muss, nicht immer zufrieden war. Mir war jedoch wichtig, gerade letztere auch zuzulassen, sie zu veröffentlichen und damit „für die Ewigkeit“ zu konservieren – denn sie zeigen, dass Improvisationen weder zuverlässig planbar noch von gleichbleibender Qualität sind. Das gilt nicht nur für mich, sondern für jede(n) Improvisierende(n), egal in welchem Bereich.
Wenn es bei unseren großen Vorbildern den Anschein hat, dass jede ihrer Improvisationen von gleich hoher Qualität ist, dann liegt das – und das ist ein zentraler, weil „entzaubernder“ Punkt! – einzig und allein daran, dass sie sich durch jahrelanges, intensives Training ein Höchstmaß an Erfahrung, Situationsgespür und direkt abrufbarem Wissen erarbeitet haben. Selbst wenn sie dann einen schlechten Tag erwischen, ist das Level, auf dem sie arbeiten, immer noch gut genug, um höchsten Ansprüchen zu genügen.
Zu diesem Thema finden sich zahllose Zitate aus ganz verschiedenen Bereichen. Auf Konzertreise in Südafrika las ich auf einer Werbetafel den Satz „Chance favours the prepared mind“. Zu meiner Zeit im BuJazzO überzeugte mich John Ruocco mit dem Satz „Practice the relaxation into it“. Von dort ist es nur ein kleiner gedanklicher Sprung zu dem Ausspruch „Work ethic eliminates fear“ des Basketballers Michael Jordan.
Eine gelungene Improvisation ist im Idealfall das Produkt eines wunderbaren, ungestört fließenden Zusammenwirkens von Wissen, Gefühl und Fingerfertigkeit – also dem, was der amerikanische Saxofonist Dave Liebman mit „hand, head and heart“ umschreibt.
Aber wie verhält es sich mit dem anderen Zauberwort, der Inspiration?
Der amerikanische Maler Chuck Close urteilt rigoros: „Inspiration is for amateurs – the rest of us just show up and get to work“. Leider erinnert mich das sofort an einige negative Konzerterlebnisse mit (ja, vornehmlich amerikanischen…) Jazzmusikern, die zwar handwerklich unglaublich versiert waren, ansonsten aber in ihrem Spiel und ihrer ganzen Haltung desinteressiert, arrogant und eben „uninspiriert“ erschienen.
Schöner finde ich daher das – beileibe nicht unähnliche – Zitat seines europäischen Kollegen Pablo Picasso: „Inspiration exists, but it has to find you working“. Schließlich tut auch dem größten Profi ein wenig Amateurismus (im Wortsinne) gut.
Um die Amateure, um die Liebhaber des Jazz, wird es ab nächstem Jahr in meiner neuen Blogserie gehen. Darin werde ich das Thema „Audience Development“ untersuchen und der Frage nachgehen, wie der Jazz heutzutage sein Publikum finden und binden kann. Auf dem diesjährigen JazzForum der UDJ lieferte eine Podiumsdiskussion dazu erste Denkanstöße. Angesichts der gravierenden Veränderungen im Musikmarkt scheint es mir höchste Zeit zu sein, diesem wichtigen Feld etwas mehr Raum zu geben. Wie immer freue ich mich auf zahlreiche Mitleser und rege Diskussionen mittels der Kommentarfunktion.
Einen schönen Jahresausklang wünscht
Benjamin Schaefer