Jazzclubs gibt es einige in Deutschland, vor allem natürlich in den mittleren und den Großstädten. Warum ist einer der berühmtesten und angesehensten dann mitten in der bayerischen Provinz, im kleinen Barockstädtchen Neuburg an der Donau angesiedelt? – Alles begann bereits im Jahr 1958, als der spätere Gründer der Jazzwoche Burghausen, Helmut Viertel eine Ausbildung zum Gerichtsvollzieher in Neuburg machte. Er hatte interessante Jazzplatten, die damals noch schwer erhältlich waren und hörte sie zusammen mit Manfred Rehm. Aus Liebe zum Jazz gründeten sie den Club, der aber erst ab 1985 richtig auf Kurs gelangte. Viertel war inzwischen nach Burghausen versetzt worden, und Rehm veranstaltete in verschiedenen Gaststätten regelmäßig Konzerte. 1991 zog man in die jetzigen Räumlichkeiten, ein Kellergewölbe unter der Hofapotheke: ein Ambiente, das Seinesgleichen in Deutschland und Europa sucht. Sponsor Fritz von Philipp erklärt sich den Erfolg folgendermaßen: „Ich merk’s immer an der Reaktion der Musiker, die sind so etwas gar nicht mehr gewöhnt. Hier ist der Club super, das Publikum super und das Umfeld bestens. Die Gastronomie steht nicht im Vordergrund, nichts klappert, man kann sich auf die Musik konzentrieren. Das ist phantastisch.“ (Text und Fotos Neuburg: Ursula Gaisa)
Manfred Rehm erklärt sich die Beliebtheit des Clubs in Künstlerkreisen so: „Die Musiker kommen hier zur Ruhe, es gibt kaum Probleme mit dem Soundcheck. Die Wege sind kurz. Aber auch die Umstände müssen stimmen: die Musik muss gut präsentiert werden, ein Pianist muss einen ordentlichen Flügel haben. Die Atmosphäre muss harmonisch sein. Die Hörer müssen Disziplin mitbringen, aber damit habe ich seit Jahren keine Probleme mehr.“
Nur durchschnittlich zehn Prozent des Publikums, das zu den zirka 100 Konzerten pro Jahr (die nicht nur im Club, sondern auch im Audi Forum Ingolstadt stattfinden) kommt, stammt direkt aus Neuburg und Umgebung. Die meisten reisen aus den Großräumen Nürnberg, Augsburg oder München und aus ganz Deutschland an. Für bestimmte Konzerte erwartet man sogar Gäste aus Frankfurt, Berlin und vor allem aus Hamburg.
Die vollkommene Stille während der Konzerte muss man gewohnt sein. Tommy Flanagan, der eine Solo-CD im Birdland aufnehmen wollte, war davon erst einmal sehr irritiert. Fritz von Philipp erzählt: „Der war ja eigentlich ein reiner Triomusiker. Jetzt waren an dem Abend alle Stühle draußen, der Club war voll und trotzdem war da diese Ruhe und Stille. Er saß am Flügel, und man konnte die sprichwörtliche Nadel fallen hören. Das hat ihm die Luft genommen, er musste fürchterlich schlucken: Da bin ja nur noch ich, kein anderer Musiker. Das hat ihm wirklich zu schaffen gemacht.“
Rehm: „Ja, die Aufnahme wurde nie veröffentlicht. Seine Frau saß in der ersten Reihe und gab ihm dann Anweisungen, sagte ihm, was er spielen sollte. Später war er dann öfter da, aber immer mit seinem Trio.“
Als Jerry Mulligan eines Abends im Stadt-Theater spielte, fragte ihn Rehm, ob er nicht Lust hätte, auch im Club aufzutreten. Seine Frau bemerkte, dass er nie im Club auftreten würde, nur auf großen Bühnen. „Dann hatten wir den Soundcheck im Club, es hat ihm so gut gefallen, dass er dann noch dreimal, immer im Mai, kam und spielte. Das war unser erstes rauchfreies Konzert damals. Franka, seine Frau achtete peinlichst darauf. Aber alles lief problemlos… Die spannendste Sache von der Länge her war der erste Auftritt von Freddie Hubbard, im Quintett mit Freddie Hayes. Die konnten nicht mehr aufhören zu spielen. Bis morgens früh um vier ging das. Dann wollte er frische Unterwäsche, die konnten wir ihm besorgen. Keiner aus dem Publikum ist gegangen, alle waren wie in Trance. Am nächsten Tag hab ich ihn nach Burghausen gebracht.“
Seit 15 Jahren gibt es eine Kooperation mit den Neuburger Barockkonzerten: „Das war damals ein revolutionärer Gedanke, heute ist es ein fester Baustein, eine Veranstaltung zu haben, die einen Bogen über die Jahrhunderte spannt“, so von Philipp. Und Manfred Rehm: „Es gibt da viele Möglichkeiten: Heuer veranstalten wir am Freitag, den 10. Oktober das Duokonzert „Vibraphon meets Piano“ mit Thomas Dobler aus der Schweiz und dem ungarischen Pianisten Emil Spanyi, wobei Jazzelemente mit Barockmusik verbunden werden sollen. Das wird eine sehr interessante Geschichte.“
Bewährt hat sich auch die Kooperation mit dem Audi Forum Ingolstadt. Stephan Öri, Leiter Kommunikation dazu: „Unsere Zusammenarbeit mit dem Jazzclub Birdland in Neuburg ist eine klassische Win-Win-Situation und eine sehr erfolgreiche Kooperation, die mittlerweile im 13. Jahr läuft. Wir profitieren von der Bekanntheit des Jazzclub Birdland und dem großen Netzwerk, das Manfred Rehm aufgebaut hat. Beim Jazz im Audi Forum Ingolstadt stellen wir die Räumlichkeiten zur Verfügung, Veranstalter ist der Jazzclub. Wir haben dadurch am Audi Forum Spitzenmusiker zu Gast und können eine Bühne für größere Formationen bieten, für die das Birdland zu klein wäre.
Ein weiteres Format ist unsere After Work Jazz Lounge am Donnerstagabend ab 18.30 Uhr. Das ist stilvolle Abendunterhaltung mit hochklassiger Musik in entspannter Atmosphäre an unserer Bar, und das bei freiem Eintritt. Und da gibt es dann keine Berührungsängste, das ist keine klassische Konzertatmosphäre, sondern die Musiker sitzen mittendrin. Natürlich kommen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Audi, aber wir haben auch Gäste von außerhalb, die regelmäßig kommen. Denn dieses Format ist etwas ganz Besonderes, das es in dieser Form in der Region nur bei uns gibt.
Für das Audi Forum Ingolstadt ist der Jazz ist ein fester Bestandteil, ein ganz zentrales Thema, das wir pflegen. Und die Zusammenarbeit mit dem Birdland Neuburg ist eine Erfolgsgeschichte, die wir auf jeden Fall fortsetzen werden. Unsere Konzerte sind regelmäßig ausverkauft und umfassen ein breites Spektrum: Ob Old Time oder Modern Jazz, Swing, Bebop, Sinti Jazz oder Fusion, ob klassische Big Band oder kleinere Formationen, wir haben für viele Musikfans und Jazzkenner etwas im Angebot. Der Erfolg und das große Interesse, das über die Region Ingolstadt hinausreicht, geben uns Recht. Wir haben je nach Künstler und Musikrichtung ein sehr unterschiedliches Publikum. Und das kontinuierliche Format und die Qualität unserer Konzerte tragen dazu bei, dass sich ein Interesse für den Jazz auch bei einem jungen Publikum verfestigt.“
Für Öri ist das Birdland ein Ort der Entspannung: „Ich bin selbst Jazzfan mit einer Vorliebe für Sinti-Swing. Aber ich freue mich auf jedes unserer Jazzkonzerte. Das sind kleine Auszeiten für mich, die ich sehr genieße.“
Im Herbst (24.10.–22.11.) findet zum vierten Mal das Birdland Radio Jazz Festival in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk statt, 2014 unter anderem dabei: das Daniel Guggenheim New York Quartet, Medeski-Scofield-Martin-Wood und das Roy Hargrove Quintet. Redakteur Roland Spiegel zur Entstehung: „Das Birdland Neuburg ist uns seit vielen Jahren als ganz besonders schöner Club mit sehr sehr hochwertigem Programm aufgefallen. Ein Club, in dem schon mein Vorgänger, Peter Machac, immer wieder Aufnahmen gemacht hat – mit lauter Weltstars – Aufnahmen, die so stimmungsvoll sind, dass wir sie immer wieder aus dem Archiv ziehen und Ausschnitte daraus spielen. In meinen ersten Jahren beim Bayerischen Rundfunk habe ich dann auch immer wieder einzelne Mitschnitte im Birdland gemacht, bis eines Jahres im Herbst ein Konzert mit Cecil Taylor und Tony Oxley angekündigt wurde. Cecil Taylor ist in Europa eigentlich nur an ganz großen Spielstätten zu erleben. Die Chance, in einem Club vor ungefähr 100 Leuten einen absoluten Weltstar des frei improvisierten Jazz mitzukriegen und noch dazu für die Ewigkeit festhalten zu können, fand ich so reizvoll, dass ich das unbedingt machen wollte. Es ergab sich damals zufällig, dass wir einen Sendeplatz der RadioJazznacht auf Bayern 2 frei hatten, wo ich mir dachte, wenn man noch ein zweites oder drittes Konzert dazunehmen würde, könnte man eine wunderschöne Sendung konzipieren, vielleicht sogar eine Liveübertragung aus Neuburg. Ich kam mit Manfred Rehm ins Gespräch, der fühlte sich geehrt und war bereit, noch andere Konzerte dazu zu stellen, und so entstand 2011 das erste Birdland Radio Jazz Festival.
Das sind ganz besondere Aufnahmen, ganz besondere Ereignisse sowieso. Das Schöne daran ist für uns, dass man die konzentrierte Atmosphäre, diese Intimität spürt. Die Künstler spielen woanders auf keinen Fall genauso wie in diesem Club. Das Birdland ist ein exquisiter Ort für Konzerte. Und den Erfolg kann man an einer Person festmachen: Manfred Rehm ist ein so geschickter und seriöser Veranstalter, dass es sich in Musikerkreisen weltweit herumgesprochen hat. Das hat eine Kontinuität und Zuverlässigkeit, das ist beispielhaft. Und er ist ein Club-Programmgestalter mit einem besonders guten Geschmack. Das Birdland Neuburg ist ein Alleinstellungsmerkmal für sich in der Jazzszene – europaweit.“
Manfred Rehm, der jährlich um die 2.000 ehrenamtliche Stunden für das Birdland verwendet, ist nach wie vor fasziniert vom Jazz: „Am meisten beeindruckt mich immer wieder, wie intensiv und konzentriert die Musiker auftreten. Da gibt es keine Routine, jedes Konzert ist anders. Zum Beispiel Lee Konitz: der spielt immer, wenn er in den Club kommt, einmal mein Lieblingsstück „Invitation“, und jedes Mal klingt es ganz anders. Diese Ernsthaftigkeit, auch im hohen Alter noch, die hundertprozentige Liebe zu dieser Musik, das beeindruckt mich immer wieder neu. Das gibt einem die Kraft, dass man – trotz vieler Probleme – immer wieder weitermacht. Der Lohn ist sehr hoch, den man dafür bekommt: von den Musikern und vom Publikum. Wenn da unten die Bude voll ist, hört man eine Stecknadel fallen… Die Konzentration und die Leute, wie die dann rausgehen. Das schöne Erlebnis. Das macht’s aus. Deshalb muss man immer hinterher sein, dass das alles immer 100-prozentig klappt und perfekt ist. Von der Auswahl der Musiker, vom Publikum her, von den ganzen Umständen. Das muss immer rund sein. Dann merkt auch jeder Musiker, dass er ernst genommen und respektiert wird. Das macht’s aus. Das geht nur, wenn man sich wirklich drum kümmert. Das kann man nicht delegieren… “
Und der Schatten bei so viel Licht? Denkt Rehm manchmal darüber nach, wer seine Nachfolge antreten könnte? Ja, da denke er oft drüber nach, niemand würde das ehrenamtlich so übernehmen und für die Bezahlung würde das Geld fehlen… Hoffnung macht ihm das neue Konzept der Spielstättenförderung (die JazzZeitung berichtete). Dadurch könne man die Live-Jazz-Szene in Deutschland vielleicht erhalten.
Termine Birdland Radio Jazz Festival 2014
Freitag, 24. Oktober 2014, 20.30 Uhr
Daniel Guggenheim New York Quartet
Daniel Guggenheim (sax), Peter Madsen (p), Sean Smith (b), Devin Gray (dr)
Samstag, 25. Oktober 2014, 20.30 Uhr
Lucas Heidepriem Trio
13. November (Audi Forum Ingolstadt)
Medeski-Scofield-Martin-Wood
20. November
Roy Hargrove Quintet
21. November
Bobo Stenson – Mike Manieri Duo
22. November
Yuri Acoustic Quartet
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