Abschied mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen: Chefdirigent Michael Abene verlässt die WDR Big Band

Abene_conducting_croppedVon Dietrich Schlegel. „Tomorrow Is Just Another Tomorrow“ – der heitere Gelassenheit ausdrückende Titel dieser Ballade, die Michael Abene eigens für sein Abschiedskonzert als Chefdirigent der WDR Big Band geschrieben hat, klingt wie das Lebensmotto dieses Meisters des großochestralen Jazz. Als 2003 Zeit in die Dienste einer – wie er bald feststellte – „der besten Big Bands überhaupt“ eintrat, hatte er nie damit gerechnet, dass sein Vertrag so oft verlängert wurde, dass am Ende, wie er jetzt belustigt gern wiederholte, die krumme Zahl „eleven plus“ stand. Und noch immer hat er nicht genug von diesen „wonderful musicians, great soloists and the ensemble band on such a quite high level“. Am 26. September wird er ein Konzert mit John Abercrombie leiten. Und er hofft, auch später noch ein-, zweimal pro Jahr als Gastdirigent nach Köln – „the city is great“ – eingeladen zu werden, zumal es für amerikanische Verhältnisse nur einen Katzensprung ist hinunter nach Graz, wo er seit 2011 am KUG Jazz Institut eine Professur innehat und mit seiner Frau und Managerin Gretchen eine Wohnung besitzt.

Am 2. Juli, sechs Tage nach seinem Abschiedskonzert im Kölner Stadtgarten, war Michael Abende 72 Jahre geworden. Aber auf die ihm oft gestellte Frage, ob er sich nun zur Ruhe setze, erwiderte er nur lachend mit der Gegenfrage: „Why shouldn’t you go for retirement when you have fun?“ Und seinen Spaß, seine Freude an der Arbeit vermittelte er offensichtlich auch seinen Musikern. Der Trompeter Klaus Osterloh, bis 2012 Mitglied der WDR BB, erinnert sich: „Abene strahlt eine solche Heiterkeit und Lebensfreude aus, dass die Zusammenarbeit leicht fällt, und wenn dann so ein dicker Packen auf dem Pult liegt, gibt er einem das Gefühl, allein durch seine Ausstrahlung und ohne dass er es aussprechen müsste: ‚Ach, Leute, das ist zwar schwerer Tobak, den ich da geschrieben habe, aber wir schaffen das schon‘“. Und Lead-Trompeter Andy Haderer sieht den Unterschied zu anderen Bandleadern und Arrangeuren auch darin, dass Abenes Musik „sehr viel Humor in sich trägt und dennoch auch sehr tiefgründig ist, Sie zu spielen, macht einfach Spaß“.

Lucas Schmid, der Produzent der WDR BB, hebt vor allem die Vielfältigkeit der Arrangierkunst Abenes hervor: „Er hat eine ganz persönliche Note des Arrangierens, ohne das Stück zu derangieren. Er bringt sehr viele eigene und neue Ideen ein, aber er nimmt dabei immer viel Rücksicht auf die Form und auf die Intention der Kompositionen.“ Dabei schreibt er selbst unablässig auch eigene Stücke, allein vier für das Abschiedskonzert. Schmid über die schier unermüdliche Arbeitskraft seines scheidenden Chefdirigenten: „Er ist ein Energetiker. Diese ansteckende Energie hat uns alle beflügelt. Sein Output war bewundernswert. Er schrieb mehr als hundert Arrangements pro Jahr für 108 Produktionen in mehr als zehn Jahren, das wären 1.180 Arrangements, also mehr als 100 pro Jahr. Als ich mal in sein Arbeitszimmer kam, habe ich gesehen, dass er an zwei, drei Pulten parallel schrieb. Wenn er an dem einen nicht weiterkam, sprang er zu dem anderen, und während er an dem zweiten Pult schrieb, fiel ihm eine Idee zu dem dritten Arrangement ein. Das ist unglaublich.“

Der Pianist und Organist Frank Chastenier bestätigt: „Sein Arbeitspensum ist wirklich phänomenal. Wie oft haben wir erlebt, das er nach vier oder fünf Stunden harten Probens in sein Zimmer ging, um die Arrangements für die nächste Produktion zu schreiben. Ein Energiebündel, dieser Mann.“ Für Lead-Posaunist Ludwig Nuss paart sich diese „unglaubliche Energie mit einer endlos scheinenden Kreativität und seiner Beherrschung aller möglichen Stilistiken“. Und in der Tat spannt sich der Bogen der Projekte und der daraus entstandenen CDs von Funk über neu arrangierte Titel aus dem American Songbook bis zu Latin. Fragt man ihn nach seinen persönlichen Highlights, so nennt er als erstes die 2008 mit einem Grammy ausgezeichnete CD „Avant Gershwin“ mit Patti Austin, die zudem noch einen persönlichen, ihren ersten Grammy als beste Vocalistin erhalten hatte. Dann folgen für ihn das für den Grammy nominierte „Symphonia“, ein Konzert für Big Band und großes Orchester, feat. Joe Lovano, die live bei den Leverkusener Jazztagen aufgenommen CD „Soul Classics“ mit dem sensationellen Maceo Parker, das mitreißende „Van’s Joint“ mit dem Saxophonisten Bill Evans, „Improvise-One“ mit Paquito D’Rivera, die für Bireli Lagrene arrangierte „Djangology“, das Tango-Projekt mit Gary Burton. Viele bekannte Namen und Projekte könnte man noch hinzufügen.

Es gehört zum Konzept der WDR BB, prominente, zumeist US-amerikanische Musiker für CD-Aufnahmen und landes- und bundesweite Konzerte und Tourneen im Ausland einzuladen. Aber auch die Mitglieder der international besetzten Band erhalten reichlich Gelegenheit, solistisch hervorzutreten. Abene spricht voller Hochachtung von Ihnen, nennt – ohne die anderen missachten zu wollen – stellvertretend Paul Heller (ts), Andy Haderer (tp), Ludwig Nuss (tb), Karoline Strassmayer (as), Frank Chastenier (p). Er könne sich nicht mit Ellington vergleichen, nennt ihn hier nur, um seine eigene Methode zu erklären: Der Duke habe auf seine großen Solisten hin geschrieben. Bei ihm komme erst das Stück, und danach suche er die dazu passenden Solisten aus. Über die Freiheit, die er den Solisten lässt, beschreibt Schlagzeuger Hans Dekker aus seiner Sicht: „Für mich lässt er in seinen Arrangements viel offen. Ich kann viel selber gestalten. Jedes Arrangement ist eine Herausforderung, da stehen immer Sachen drin, auch rhythmische, die man nicht erwartet. Ich hatte viel Freiheit. Es war eine wunderbare Zeit mit ihm.“

Wer mit Bandmitgliedern in der Pause des Abschiedskonzerts oder danach sprach, vernahm einhelliges Bedauern über das Ende der fruchtbaren regelmäßigen Zusammenarbeit, zugleich die Hoffnung auf noch möglichst viele Einladungen nach Köln, um an gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Offenbar hat Abene die Band nicht nur durch seine Energie und Kreativität, seine jahrzehntelange Erfahrung als Arrangeur und Komponist, als Lehrer und – so Ludwig Nuss – auch als „unglaublicher Pianist“ beeinflusst und beeindruckt. Ebenso wesentlich war wohl, so ist herauszuhören, dass er sich stets kollegial und offen verhielt, warmherzig und humorig war und bei allem Temperament von innerer Gelassenheit. Abene selbst meinte in einem WDR-Interview bescheiden: „Die WDR Big Band hat mir viel geholfen. Sie hat mich gut aussehen lassen.“ Und wenn es nicht gepasst hätte, wären es nicht „eleven plus“ geworden.

Abenes Terminkalender ist für die nächsten Jahre schon wieder prall gefüllt. Er wird workshops und Lehraufträge in USA, Neuseeland, Italien, den Niederlanden und natürlich in Graz wahrnehmen, aufgeschlossen gegenüber allem Neuen, wie er als Co-Autor von Richard Sussman des bei der Oxford University Press unlängst erschienenen Buches „Jazz Composition and Arranging in the Digital Age“ gerade bewiesen hat.

Auch der nächste Chefdirigent der WDR BB wird mit Richard DeRosa wieder ein Amerikaner sein, nach dem in Köln unvergessenen Bill Dobbins und dem scheidenden Michael Abene der dritte in Folge. Was gab den Ausschlag? Produzent Lucas Schmid: „DeRosa erfüllt die gleichen Kriterien wie Dobbins und Abene. Alle drei sind ganz versierte Arrangeure. Auch DeRosa verfügt über eine lange Erfahrung und stilistische Vielfalt. Er ist ein Klangmaler. Das Fluidum seiner Arrangements vermittelt einen besonderen Zauber. Dazu bringt er noch hervorragende soziale Kompetenz mit.“ Doch noch ist er ein unbeschriebenes Blatt. Michael Abene tröstet, auch er sei zu Beginn seiner Kölner Zeit kaum bekannt und zudem als Mensch und als Musiker völlig verschieden von seinem geschätzten Vorgänger Bill Dobbins gewesen. So sei wiederum auch Richard DeRosa anders als er. Jeder neue Chef müsse eben seine eigene Beziehung zur Band entwickeln. Nicht nur die Musiker der WDR Big Band, auch die große Zahl ihrer Fans dürfen gespannt sein.

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Ein Kommentar

  1. Nach Jahren als treuer Zuhörer der Konzerte mit der WDR-Big Band unter ihrem Chefdirigenten Michael Abene, den ich auch persönlich kenenlernte, finde ich den Beitrag von Diertrich Schlegel sehr gut und treffend in der Beschreibung der Arbeit und persönlichen Ausstrahlung des scheidenden Musikers, der in seiner Vielseitigkeit und Produktivität Hochachtung, manchmal aber auch Zurückhaltung auf sich zog.

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