In meinem letzten Eintrag habe ich ein paar Variationen über die Käuflichkeit der Jazzkritik publiziert. Die Angelegenheit hat weite Kreise gezogen. Unter anderem wurde nachgefragt, was denn das alles mit der Einladung zu einem Jazzfestival auf die Krim zu tun haben soll. Was denn diese tagespolitische Anspielung soll. Darauf will ich kurz eingehen ohne den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine selbst bewerten zu müssen. Aus der Ferne und der Nachrichtenlage heraus scheint das unmöglich.
Nun: Kultur spielt auch in diesem Konflikt eine immer größere Rolle. So sind die Nachrichten, dass russische Beiträge (auch musikalischer Art) teilweise in der Ukraine ganz offen zensiert werden keine Neuigkeit. Wie es anders herum ist, ist mir leider nicht bekannt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dies auch von der Gegenseite praktiziert wird, verwunderlich wäre es nicht.
Eine Einladung zu einem Jazzfest auf der Krim, deren Zugehörigkeit strittig ist zwischen der Ukraine und Russland, ist natürlich ein Versuch, Fakten herzustellen. Das betrifft aber nicht nur Jazzkritiker, die dorthin eingeladen werden sollen, sondern auch Musiker, die dort spielen. In der Meldung wurde als deutsche Combo der Auftritt des „Club des Belugas“ erwähnt, die auch in der Liste der Bands am letzten Tag zwischen 19:20 und 20:20 spielen sollen.
Schaut man etwas zurückn in die Geschichte des Festivals, das es seit 2003 gibt (Wikipedia) fällt einem sofort auf, dass es seinen Charakter geändert hat. Während 2003 noch ukrainische und russische Jazzbands zusammen dort auftraten, sind jetzt die ukrainischen komplett weg.
Auf der Startseite des Festivals im Netz wird laut proklamiert: Jazz is the music of freedom. Freiheit des Jazz auszurufen in einem unfreien Land, egal ob Ukraine oder Russland, klingt irgendwie euphemistisch.
Andererseits wäre auch fatal, die Situation einfach links oder recht liegen zu lassen. Der Kulturaustausch zwischen Ländern gehört eigentlich zu den eher produktiven Elementen zwischenstaatlicher Kommunikation. Das hat auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (und damit verantwortlich für die auswärtige Kulturpolitik) deutlich gemacht in seinem Beitrag für die Zeitung des Deutschen Kulturrats. Er schreibt dort:
Kurz: Nur auf der Grundlage gegenseitigen Verstehens kann sich Verständigung entwickeln. Genau hier setzt Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik an: im Kontakt zwischen den Ländern und Völkern, aber auch da, wo es um den Aufbau eines friedlichen Zusammenlebens innerhalb eines Landes oder zwischen unseren Partnern geht. So werden wir, um nur ein Beispiel zu nennen, in den nächsten Wochen und Monaten ganz gezielt in der Ukraine, in Georgien, Moldawien und Weißrussland den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, freier Medien und Begegnungsmöglichkeiten über nationale Grenzen hinweg unterstützen.
Mitbekommen? Russland ist nicht dabei. Wie soll man das interpretieren? Ist die Beziehung zwischen Deutschland und Russland etwa so wunderbar, oder im Gegenteil so zerstört, dass es nicht funktionieren wird. Brauchen nur die genannten Länder Ukraine, Georgien, Moldawien und Weißrussland „Nachhilfe“? Das würde mich schon wundern. Nein, implizit ist auch ein bisschen kultureller Boykott gegen Russland angesagt. Aber erst nach den wirtschaftlich-medial bedeutenden Winterspielen in diesem Jahr. Aber auch die Warte deutscher Heilungspolitik, ist ein wenig pädagogisch gewöhnungsbedürftig.
Interessieren würde mich auch, wie der Club des Belugas dazu steht? Hat man ihnen jetzt vielleicht doch eher abgeraten, dorthin zu fahren? Oder oder oder?
Der Komponist Hans Werner Henze hatte es vor vielen Jahren einmal auf den Punkt gebracht: Musik ist nolens volens politisch. Musik ist, ob es will oder nicht, politisch. Aber eben auch die Institutionen verhalten sich genau so. Wenn man einen Kritiker dort hinschickt, auf Einladung, dann möchte ich mal sehen, wie er, nach Martin Laurentius Worten, den „Arsch in der Hose“ hat, einen souveränen Bericht zu verfassen!