Der britische Posaunist und Bandleader Chris Barber wurde zum Abschluss des Festivals „Jazzopen“ in Stuttgart am 21. Juli mit der German Jazz Trophy 2014 der Stiftung Spardabank Baden-Württemberg, der Kulturgesellschaft Musik und Wort und der Jazzzeitung geehrt. Trotz eines gebrochenen Fußes war Barber im Rollstuhl und mit seiner 10-köpfigen Big Chris Barber Band nach Stuttgart gekommen, um im Event Center der Spardabank sein Publikum mit Swing, Blues und viel Power-Dixieland zu überwältigen. Vor dem Konzert übergaben Sparda-Vorstandsvorsitzender Martin Hettich und SWR-Moderator Markus Brock die von Otto Hajek gestaltete Trophäe an den ersten Posaunisten unter den inzwischen 14 Preisträgern seit 2001.
Die German Jazz Trophy wurde bisher an den Altsaxophonisten Lee Konitz, die Pianisten Monty Alexander, Jacques Loussier, Paul Kuhn, Dick Hyman und Wolfgang Dauner, den Geiger Jean-Luc Ponty, die US-amerikanische Pianistin und Komponistin Carla Bley, den Trompeter Kenny Wheeler, den Mundharmonikaspieler Toots Thielemans, den Klarinettisten Hugo Strasser und den Big Bandleiter Erwin Lehn vergeben.
Lesen Sie Ausschnitte aus der Laudatio von Andreas Kolb:
„Ice Cream, schnelle Autos und Millionenhits“
Eigentlich ist Chris Barber Multiinstrumentalist: Er lernte zunächst Violine und Sopransaxophon. Später studierte er dann Posaune und Kontrabass an der Guildhall School of Music. Heute ist sein Name untrennbar mit der Posaune verknüpft, und er ist – endlich – unser erster trombone player in einer inzwischen langen Liste von illustren Preisträgern. Das Instrument entdeckte er rein zufällig für sich, sagt er: „Gekauft habe ich meine erste Posaune eigentlich nur deswegen, nachdem ich gesehen hatte, dass sie sehr günstig war.“ Das war natürlich n i c h t der einzige Grund, denn von Anfang an war ihr Sound für ihn mit d e r Musik verbunden, die er liebte, vom ersten Moment an, als er sie hörte: mit Jazzmusik.
Das klingt einfach, war es aber nicht. Versuchen wir uns zurückzuversetzen in die Zeit Anfang der vierziger Jahre. England befindet sich im Krieg mit Hitlerdeutschland und der am 17. April 1930 in Welwyn Garden City, Hertfordshire, geborene Barber kennt als Teenager zwar das furchteinflößende Geräusch deutscher V2 Raketen auf ihrem Weg nach London, hat aber noch keinen einzigen Ton Jazz gehört. Musik war im Gegensatz zu heute nicht überall und gleichzeitig verfügbar. Jazzmusik gleich gar nicht. Natürlich gab es das Radio, aber Jazz? Jazz wurde da nicht gespielt. Wollte man damals Jazz hören, dann musste man aktiv werden, und das wurde der junge Barber. Zu Kriegsbeginn kam er in den Besitz eines kleinen Bakelit-Radios. Sein Lieblingssender war natürlich der AFN, das American Forces Network – denn da lief seine Jazzmusik, da konnte die altbackene britische Radiotante BBC (für British Broadcasting Corporation) nicht mithalten.
„I remember thinking, ‚I like that’“, schreibt er in seiner Autobiographie. Die „Idee Jazz“ setzte sich damals fest in Barbers Kopf und er begann, systematisch Platten zu sammeln. Als Schüler der King Alfred School in seiner Heimatstadt Roysten musste er einmal die Woche zum Geigenunterricht nach Cambridge fahren. Statt den Bus zu nehmen, fuhr er mit seiner Geige am Lenker auf dem Fahrrad und das gesparte Geld fürs Busticket investierte er Woche für Woche in neue Schallplatten – 78 Umdrehungen pro Minute hatten die damals noch, von Stereo keine Rede. Durch diese lernte er Louis Armstrongs Hot Seven kennen, die Columbia Records von Bessie Smith, Aufnahmen von Jelly Roll Morton und Duke Ellington. Auch britische Bands etwa die British Hot Blues Society u.a. waren darunter. Die Platten hat unser Preisträger übrigens größtenteils heute noch im Schrank.
Mit dem 1954 aufgenommenen Titel „Ice Cream“ gelang ihm ein Welterfolg, der als d i e Dixieland-Hymne schlechthin zu seinem Markenzeichen wurde: (Seitdem ist der Ohrwurm aus dem Repertoire der Chris Barber Band nicht mehr wegzudenken und markiert den Höhe- und Schlusspunkt jedes ihrer Konzerte.)
Fast noch am Beginn seiner Laufbahn kaufte sich Chris Barber eine Schellackplatte aus den Roaring Twenties, mit einer Instrumentalfassung von „Ice Cream“ und verliebte sich in die eingängige Melodie. 1954 ließ sie der frischgebackene Bandleader im Studio neu einspielen und seinen Trompeter, den 2013 verstorbenen Pat Halcox, einen Text improvisieren, da ihm der Originaltext nicht bekannt war: „I scream, you scream, everybody wants ice cream. Rock, oh rock my baby roll”. „Ich glaube unser Text ist der Hauptgrund dafür, dass „Ice Cream“ in Deutschland ein Hit wurde, denn er enthielt die paar englischen Worte, die der durchschnittliche Deutsche damals verstehen konnte“, glaubt Barber.
Der definitive Durchbruch gelang dem Bandleader mit der LP „Chris Barber Plays (Vol. 3)“ – sie wurde ein Millionenseller. Für diese LP griff Barber eine Komposition des aus New Orleans stammenden Klarinettisten Sidney Bechet auf, die dieser erstmals am 21. Januar 1952 in Paris aufgenommen hatte: „Petite fleur“.
Die Geschichte ist erzählenswert: Als Barber und seine Band 1959 bei den Aufnahmen zu ihrer dritten „third inch-LP“ waren, brachte Klarinettist Monty Sunshine das Stück „Petite fleur“ mit zu den Aufnahmen. Er hatte „Petite fleur“ in der Originalaufnahme mit Bechet gehört und da sein Plattenspieler etwas zu schnell lief, hatte er es Ton für Ton in As-Moll abgehört, anstelle von G-Moll, der Tonart, in der es Bechet spielte. „Der Grund dafür, dass wir diese LP (und das Stück) millionenfach verkauften und Sidney Bechet nicht“, meint Chris Barber, „lag darin dass die Wendung von As-Moll nach H-Dur wundervoll klingt, im Gegensatz zu Bechets Auflösung von G-Moll nach B-Dur. Ein kleiner Punkt, der den großen Unterschied ausmacht.“
Barbers Band war als Folge dieses Hits die erste britische Jazzband in den USA, die am 8. März 1959 live in der Ed Sullivan Show auftreten durfte und ebenso am 2. Oktober 1959 die erste britische Band, die beim Monterey Jazz Festival auftrat. Zwischen 1959 und 1963 besuchte die Chris Barber Band sieben Mal die Vereinigten Staaten. Vor den Beatles war Barber damit D E R populäre Re-Import in die USA.
2014 feiert er sein 65. Jahr als Bandleader und sein 60. Jahr als Leiter professioneller Barber-Bands – Grund genug, auch ein bisschen zurückzuschauen: Im Februar erschien seine Autobiographie unter dem Titel „Jazz Me Blues“. Das Geheimnis seines Erfolges hat er aber schon einmal in einem einzigen Satz zusammengefasst: „Wir spielen glückliche Musik und wir machen die Leute glücklich. Deswegen mögen sie uns.“
Barbers Karriere ist eine lebenslange Erfolgsstory, in den sechziger Jahren war der Auto-Enthusiast sogar erfolgreich als Rennfahrer unterwegs. Doch trotz erster Erfolge beließ er es hier im Gegensatz zum Jazz bei seiner Rolle als Amateur. Eigentlich ist ihm nur eine Sache nicht geglückt. Das finde ich persönlich schade, denn da hätten wir beide heute nochmals ganz anders fachsimpeln können: Zusammen mit Harold Pendleton war Barber eine Zeit lang Herausgeber des Magazins „Jazz News“.
Barber erinnert sich: „Harold und ich versuchten alles, doch egal ob wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich, wir brachten das Magazin nie in die schwarzen Zahlen.“
Ich denke, wir profitieren jetzt in diesem Moment davon, dass dies nur eine Episode in Barbers Karriere blieb und wir daher heute Abend zum Glück nicht noch eine (!) weitere Rede über Jazz hören, sondern endlich in den Genuss der klingenden, funkelnden und swingenden Welt des Jazz der Chris Barber Band kommen.
Feiern Sie heute mit uns den Star des traditionellen Jazz, den Mann der 15.000 Konzerte, den weitsichtigen Impulsgeber, der seine große Leidenschaft, den traditionellen Jazz, im Laufe der Jahrzehnte in immer neuer Beleuchtung unter die Menschen bringt – und sie glücklich macht.
Lieber Chris, herzliche Glückwünsche zur German Jazz Trophy 2014 – a life for Jazz!