Beruf: Jazzmusiker (9) – I would work for free, if…

Ich gebe zu – die Idee des freiwilligen, kostenlosen Teilens oder Tauschens von Gütern und Leistungen gefällt mir sehr. Ich bin oft gerührt vor Freude, wenn ich Berichte über öffentliche Gemüsebeete, Tauschhandel oder Recycling-Initiativen sehe. Klitzekleine gallische Dörfer. Winzige Lichtpunkte auf der dunklen Landkarte des wirtschaftlichen Weltimperiums.

Daher möchte ich meine Güter und Leistungen gerne unverzüglich kostenlos anbieten – sobald ich es mir leisten kann, das zu tun, ohne dadurch meine Selbstverantwortung zu verletzen und mich in Lebensgefahr zu bringen. Genau genommen also ab dem Moment, in dem ich im Gegenzug kostenfreien Zugang zu folgenden Gütern und Leistungen habe:

Sauberes Wasser. Nahrung in ausreichender Menge. Wetterfeste Kleidung und Behausung, letztere gerne mit grundsätzlichen Komforts wie Strom, Heizung, fließend (Warm-)Wasser, einem Bett und ein paar Möbeln. Toilette nach Möglichkeit mit Anschluss ans Abwassernetz.
Mobilität auch für Strecken, die nicht fußläufig erreichbar sind. Medizinische Grundversorgung. Gerne ein Telefonanschluss. Kulturelle Veranstaltungen und Erzeugnisse.
Dazu natürlich funktionstüchtige Rahmenbedingungen und Infrastruktur zur Ausübung meines Berufs, was für mich als Musiker bedeutet:
Ein angemessen gutes Instrument mit sämtlichem notwendigen Zubehör. Ein Proberaum, falls ich in meiner Behausung nicht spielen darf, wegen der Nachbarn. (Noten-)Papier und Stifte.
Für die Herstellung meiner Güter ein angemessen ausgestattetes Tonstudio mitsamt Toningenieur für Aufnahme, Mix und Mastering. Bandfotos und Videodreh. Grafikdesign für Cover und Werbemittel. PR-Kampagnen. Und nicht zuletzt: Orte, an denen ich meine Musik aufführen kann.

Naja, ab und zu mal eine Urlaubsreise wäre schön. Computer, Handy, Internet – von mir aus, wäre aber kein Muss.

Ganz schön viel gefordert? Für die überwältigende Mehrheit von uns Deutschen sind all diese Dinge so selbstverständlich, dass sie sich vermutlich nicht erinnern können, wann sie das letzte Mal darüber nachgedacht haben.
Dass wir Kultur in unserer Gesellschaft haben möchten, werden auch die wenigsten verneinen wollen. Wir sind sogar in der glücklichen Lage, uns ein hohes Maß an Kultur leisten zu können. Und dennoch lässt unsere Gesellschaft es zu, dass die Situation für viele Kulturschaffende zunehmend existenzbedrohend wird.

Aber kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt zurück: Freiwilliges und kostenloses Teilen ist eine faszinierende gesellschaftliche Utopie. Zu den oben beschriebenen Konditionen bin ich gerne (und dann auch freiwillig) bereit, meine Güter und Leistungen kostenlos zu teilen. Bis es soweit ist, rechne ich notgedrungen – wie jeder andere auch – meine Arbeitsleistung in Geld um.

Bleibt der Begriff „freiwillig“.

Freiwillig setzt voraus, dass der Eigentümer des Produkts (bzw. der Erbringer einer Leistung) eine selbstbestimmte Entscheidung darüber getroffen hat, ob er sein Produkt teilen möchte oder nicht. Entscheidet jemand anderes über seinen Kopf hinweg für ihn, ist das Bevormundung und gegebenenfalls Diebstahl – und obendrein eine Respektlosigkeit, die mit den moralischen Grundsätzen der zur Debatte stehenden Gesellschaftsform von Vornherein nicht vereinbar ist.

Gerüchten zufolge sind wir nicht nur eine „Kulturnation“, sondern auch das „Land der Dichter und Denker“. Wir können alle denken. Und sollten jetzt nicht aus lauter Bequemlichkeit damit aufhören.

Was brauchen wir wirklich zum Leben, wie viel wollen wir brauchen? Wie viel fordern wir voneinander, und was sind wir dafür bereit zu geben? Wie wollen wir miteinander umgehen?

Wenn wir das Denken anderen überlassen, müssen wir die Konsequenzen ausbaden. Bevormundung. Diebstahl. Respektlosigkeit. Wollen wir das wirklich?

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4 Kommentare

  1. Hallo x, vielen Dank für den Beitrag. Sofern Sie nicht Kathrin Passig sind, würde ich mich freuen, wenn Sie mir noch verraten würden, was Ihre eigene Meinung zu dem von Ihnen geteilten Artikel ist, bzw. wie Sie dazu Stellung beziehen…? Schließlich ist der Artikel in sich widersprüchlich. Gerne dürfen Sie auch Ihren richtigen Namen verraten, aber vielleicht bin ich diesbezüglich einfach zu altmodisch. Danke!

  2. Ich stimme das Benjamin Schaefer zu. Mir ist nicht klar, was der Verweis beitragen kann. Außer dass es Frau Passig anders hält.

    Aber man kann natürlich einiges zum Verhältnis Geld und Kultur sagen. Zum Beispiel, dass sehr viel Geld (wenn auch zu wenig) dafür von den Steuerzahlern zur Verfügung steht, entsprechend Kultur zu subventionieren. Professoren dafür angestellt werden, Studenten zu unterrichten … Auch das könnte man ja mal komplett privatisieren. Freiwillige Leistungen der Kommunen ebenso. Mal abgesehen von der unbezahlten Leistung der Mitbildung durch meine Eltern und Geschwister. …

  3. Du hast so recht, Benjamin! By the way, Gratulation zu dem tollen Blog.

    Etwas möchte ich auch in die Runde werfen: Ein Publikum gibt’s ja, wie man sieht, wann immer wir spielen, auch ein begeistertes. Was wir brauchen, sind ebenso begeisterte Veranstalter. Hoffen wir, dass diese weiterhin ihre gute Arbeit machen und ihre Liebe zu unserer Musik nicht vergessen.

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