Als einen emotionalen Menschen, der „auch und gerne aneckt, stets aber das Machbare im Blick hat“, bezeichnet sich Gebhard Ullmann selbst. Der 56-Jährige ist vielfach ausgezeichneter, international renommierter Saxophonist, Bassklarinettist, Flötist, Komponist und seit November 2013 neuer Vorsitzender der Union Deutscher Jazzmusiker.
JazzZeitung: „Jazz ist, was wir draus machen – musikalisch aber auch politisch und gesellschaftlich!“ Dieser Satz stammt von dir. Engagierst Du Dich deshalb jetzt in der UDJ in erster Reihe?
Gebhard Ullmann: Ich bin früh in die UDJ eingetreten, weil ich das wichtig fand. Dann habe ich mich in der sich neu organisierenden Berliner Szene der 80er sehr engagiert. Angesichts der aktuellen Entwicklungen finde ich die UDJ noch viel wichtiger. Ich will mitgestalten und möchte dies allen anderen auch ans Herz legen: Jammern hilft nicht!
JazzZeitung: Zunächst warst Du also politisch sehr aktiv, hast Dich aber dann auf die Musik konzentriert, nun „back to politics“ – wie kommts?
Ullmann: Ich wollte mich um meine Musik kümmern, „das kann ich auch alleine“ war für eine Weile das Credo. Jetzt möchte ich etwas zurückgeben. Sicher war ich nach dem Engagement der 80er auch enttäuscht, interessanterweise weniger von der Politik als von der Missgunst und den unsäglichen Grabenkämpfen (in) der Szene. Das hat mich doch sehr an die politischen Diskussionen im Film „Das Leben des Brian“ erinnert.
JazzZeitung: Welche Schwerpunkte möchtest Du jetzt setzen?
Ullmann: Ich möchte mehr junge Musikerinnen und Musiker davon überzeugen, dass es sinnvoll ist sich zu engagieren, am besten auch in der UDJ. Politisch möchte ich langfristig unter anderem folgende Felder beackern: Was ist die Essenz von Jazz? Findet die im Rundfunk und den Medien statt? Was können wir da verändern und vor allem wie? Wie ist die soziale Situation von Jazzmusikern? Hier wollen wir Zahlen erhalten, um die Situation dann gemeinsam zu verbessern. Wie können wir die Hochschulen mit den jeweiligen Szenen vor Ort perspektivisch besser vernetzen? Und: Bekanntheit und Bedeutung der UDJ stärken und sie als ersten Ansprechpartner im Bund etablieren.
JazzZeitung: Die UDJ hat ja in den letzten Monaten viel von sich reden gemacht. Mit einer vielbeachteten Verleihung des Albert-Mangelsdorff-Preises an Nils Wogram hat die UDJ einer der wichtigsten Auszeichnungen im Jazz neues Leben eingehaucht. Auch die Premiere des Spielstättenprogrammpreises stieß auf großes öffentliches Interesse. Hier gab es allerdings auch einige kritische Töne…
Ullmann: Wichtig ist, dass durch den Spielstättenprogrammpreis „frisches“ Geld an mehr als 30 Jazzclubs und Reihen vergeben werden konnte. Natürlich habe ich die Kritik auch mitbekommen. Da gilt es einige Kriterien zu verändern und zu justieren. Zunächst ist es aber so, dass hier endlich einmal Spielstätten durch den Bund gefördert und gewürdigt wurden. Das ist gut!
JazzZeitung: Warum sollen Jazzmusikerinnen und -musiker heute in die UDJ eintreten?
Ullmann: Weil es wichtig ist, eine Interessenvertretung zu haben. Es ist ein offenes System. Es funktioniert in dem Maße, wie sich jede und jeder Einzelne engagiert; und die Richtung und Themen werden ebenso von diesen Personen festgelegt, verändert, angepasst.
Eines ist klar: Je mehr Mitglieder wir haben und je aktiver diese sind, desto mehr können wir erreichen. Jeder und jede kann und soll für sich alleine kämpfen – das ist unbenommen – aber wenn sich zentrale Rahmenbedingungen nicht noch weiter verschlechtern sollen, und das haben sie seit der Zeit, in der ich begonnen habe Musik zu machen, ist ein GEMEINSAM unerlässlich.
JazzZeitung: Die „Jazzdebatte“ hat meist zwei Komponenten. Die erste ist politisch: mangelnde öffentliche Förderung und Wahrnehmung; wirtschaftliche Not der Jazz-Protagonisten. Die andere ist stilistisch: Was ist Jazz, wie weit geht der Begriff oder ist er schon längst überflüssig? Wie steht es denn um Deinen Jazzbegriff?
Ullmann: Mein Jazzbegriff ist viel weiter als das, was üblicherweise unter dem Wort Jazz subsummiert wird. Ich wollte Jazz spielen, eben weil diese Musik so unglaublich vielfältig ist und so viele interessante Möglichkeiten für mich als Musiker bietet. Vielleicht hilft auch mal ein kurzer Exkurs in die Geschichte. Stilbildende Jazzmusiker haben sich immer wieder neu erfunden und sind oft so schnell vorangeschritten, dass andere Schwierigkeiten hatten zu folgen, geschweige denn, mit den Etiketten hinterherzukommen. Mir geht ehrlich gesagt die Etikettierungssucht der heutigen Zeit auf den Geist. Ich verstehe auch gut, warum manche Musiker den Begriff Jazz meiden. Als ich mich entschieden habe Musiker zu sein, war es keine Frage: Jazz. Vielleicht noch: interessanter Jazz, aber das ist wieder eine andere Geschichte…
JazzZeitung: Du bist gebürtiger Rheinländer, hast in Hamburg studiert und viel Zeit in New York City verbracht. Jetzt ist Berlin Dein Schwerpunkt. Was gefällt Dir an dieser Stadt?
Ullmann: Berlin ist für mich die Stadt gewesen, in der ich leben möchte. Europa ist das Stichwort. Aber nicht immer hat diese Stadt (vielleicht dieses Land) das erwidert. In NYC wurde weniger gefragt: „Wo kommst Du her?“, sondern mehr: „Welche Ideen hast Du?“. Es dauerte nicht lange, bis in NYC mehr Musik von mir im Radio lief, als jemals zuvor in Berlin. Zudem arbeite ich immer schon international, eben weil sich das Interesse in Deutschland an meiner Musik lange Zeit in Grenzen hielt. Jetzt bin ich wieder in Berlin und ich genieße es!
JazzZeitung: Wie ist es um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der amerikanischen Jazzmusiker/-innen bestellt?
Ullmann: Das ist nicht vergleichbar. Es gibt Dinge, die positiv sind, ebenso das Gegenteil. Nur ein paar Beispiele: Der Mythos vom genialen Saxophonisten, der irgendwo am Times Square in der U-Bahn spielt, wird gerne bemüht und ist ebenso Unsinn wie die Tatsache, dass Musiker aus NYC ihr Geld in Europa verdienen. Das war früher so. Mittlerweile haben sich in Europa die Bedingungen, unter denen Jazz Konzerte stattfinden, so verschlechtert – während die Veranstalter in den USA sich vernetzt haben –, dass es mir persönlich mitunter einfacher erscheint, eine Tournee in den USA zu organisieren, als hier in Europa.
Wir in Deutschland haben es geschafft – wie so oft im Jazz oder sollte ich sagen: in der Kultur –, uns zu einem niedrigeren Niveau hin zu orientieren und uns dort einzupendeln. In der gleichen Zeit hört man den Begriff Kulturnation immer öfter. Schon komisch, je öfter so ein Begriff auftaucht, desto mehr weiß man, dass er nicht den Realitäten entspricht. Ich freue mich darauf, als neuer Vorsitzender der UDJ meinen Teil dazu beizutragen, dass wir gemeinsam etwas daran ändern.
JazzZeitung: Vielen Dank für das Gespräch.