Im Laufe der Jahrhunderte hat sich unsere Vorstellung von Arbeit grundlegend gewandelt. Ursprünglich nur Mittel zum Zweck der eigenen Bedarfsdeckung (Sicherung des Lebensunterhalts), wurde die Arbeit mehr und mehr zum Selbstzweck und das Erwirtschaften von Gewinnen zum erklärten Ziel. Alsbald wurde nach Wegen gesucht, diese Gewinne zu maximieren.
Mittlerweile ist es oberstes Ziel, den Vorgang der Gewinnmaximierung auch noch größtmöglich zu beschleunigen. Kurzfristige Rendite wird höher gewichtet als langfristige Entwicklung.
Leider ist diese Form des Kapitalismus zu einer gesamtgesellschaftlichen Lebensphilosophie mutiert, mit dramatischen Folgen: es gilt das Recht des (wirtschaftlich) Stärkeren, Banken zerstören Volkswirtschaften, Börsen dulden Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln, Konzernlobbyisten diktieren Politikern Gesetzestexte; jahrhundertealte Vorstellungen von Ethik und Moral werden scheinbar achselzuckend über Bord geworfen. Fast wirkt es, als wäre besonders in der westlichen Welt Geld das einzige, was manchen Menschen noch heilig ist.
Weite Teile unserer Gesellschaft fühlen sich dem kapitalistischen System hilflos ausgeliefert und handeln dennoch in einer Weise, die ebenjenes System stärkt – durch erhöhten Konsum, aber auch durch Selbstaufopferung: sie arbeiten immer härter und immer länger, trotz immer widrigerer Bedingungen. Ihre Freizeit wird immer knapper – und damit immer kostbarer.
Das Streben nach maximaler persönlicher „Rendite“ hat längst auch den Freizeitbereich erfasst. Anstatt „Freizeit“ wörtlich zu nehmen, wird auch diese von vielen Menschen nach ökonomischen Gesichtspunkten optimiert. Und da Kultur ein Freizeitangebot ist, bekommen wir Musiker diese Mentalität deutlich zu spüren.
Der kapitalistische Grundgedanke der Akkumulation spiegelt sich in unserer aktuellen Kulturlandschaft auf zwei Arten wider – einerseits in der steigenden Anzahl von Festivals („all you can hear“) und den vielerorts bis hin zur Kostenloskultur sinkenden Eintrittspreisen, andererseits in der Fokussierung auf künstlerische „Leuchttürme“ und in der (schwachsinnigen) Gleichsetzung von kommerziellem Erfolg mit künstlerischem Erfolg. Was viel kostet und/oder viel Gewinn abwirft, muss auch gut sein.
Die Gier nach kurzfristigen Renditen lässt viele Menschen rastlos von „Event“ zu „Event“ eilen; da es für die geistige Verarbeitung und Würdigung komplexerer Musik wie Jazz jedoch an Zeit und Aufmerksamkeitsspanne mangelt, muss die Musik möglichst direkt und einfach zugänglich sein. Die Renaissance des Schlagers in Deutschland unterstreicht diese Tendenz.
Während einerseits Spar- und Umsonstangebote, andererseits Leuchtturmkultur und Hochglanzveranstaltungen boomen, zeigt der solide und vielfältige, aber vermeintlich langweiligere Mittelstand Auflösungserscheinungen: Jazzclubs müssen mangels Publikumszuspruch die (ohnehin schon geringen) Musikergagen senken oder aufgrund gestrichener Fördermittel schließen, Orchester werden fusioniert oder gleich ganz wegrationalisiert, Musikschullehrer sehen sich zur Annahme drastisch verschlechterter Arbeitsverträge gezwungen.
Was können wir Musiker dagegen tun? Viele sinnvolle Schritte haben wir bereits eingeleitet: Wir haben uns in Kollektiven zusammengefunden und haben die UDJ wiederbelebt, um unsere Kräfte zu bündeln. Wir haben eigene Konzertreihen und Festivals organisiert, um die Infrastruktur unseres Berufsfeldes zu stärken. Und wir haben auf konstruktiv-kreative Weise für unsere Belange protestiert, um öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Sache zu erregen.
Nach wie vor aber kommt der größte Anteil an Subventionen im Jazzbereich nicht etwa von außen, sondern von innen – es sind in erster Linie wir Musiker, die den Fortbestand unserer Szene durch den eigenen Gagenverzicht ermöglichen. Das ist zwar irgendwie rührend, aber kein dauerhaftes Modell für ein Berufsfeld.
Wir sind gut. Und wir sind es wert, nicht nur gehört, sondern auch anständig entlohnt zu werden. Diese Position müssen wir möglichst geschlossen und selbstbewusst vertreten – und unser Handeln danach ausrichten.
Ein Veranstalter hat kein Geld, um uns angemessen zu bezahlen? Dann kann die Veranstaltung eben nicht stattfinden. Ohne Musiker keine Musik.
Uns muss (ebenso wie der Öffentlichkeit) klar sein, dass wir in der Regel nur etwa 20 bis 30 Prozent unserer Arbeitsstunden bezahlt bekommen – und daher unseren Stundensatz entsprechend kalkulieren müssen. Nicht, um unseren Gewinn zu maximieren. Sondern um unseren Lebensunterhalt zu sichern.