Eine letzte Überraschung für den Jazzfan konnte das letzte große Konzert beim Jazzfest Berlin 2013 eigentlich nicht sein. Gewiss mochte manchem altgedienten Jazzfest-Gänger der Auftritt ein jungen deutschen BigBand, zumal geleitet von einer Frau, den Magen und seine eingerosteten Hirnareale verdrehen, aber das sind Kollateralschäden, die man allzu gerne in Kauf nimmt – nein, die dürften ihre Alkoholfahnen gerne an der Currywurst-Theke olfaktorisch zum global Stunk vereinen. Kurz, das Jazzfest endete fulminant.
Gelbe Gorilla-Musik (Monika Roscher BigBand)
Auftritt die charmante Monika Roscher, präsentierend ihre „Fehler im Wunderland“. Kein Fehler! Im Gegenteil. Man hört der Bandleiterin an, sie ist nicht allein vom Jazz sozialisiert. Sie singt nicht mit dieser Woman-Wonder-Stimme, wie sie sich global im Jazz ausbreitet sondern mit einer unprätentiösen Popstimme, wie man sie eher von freundlichen Herren kennt. Ihre Arrangements sind teils skurril, aber nicht überzüchtet. Das ist schon ein so eigener Ton, der ruhelos rauh bis derb dreinfährt.
Fotos: Petra Basche
Monika Roscher hat begriffen, dass man auch mal ein bisschen was „zeigen“ darf: Ihre gelegentlich eingestreuten Kostümierungen holen die Fantasiewelt des Kinderzimmers auf die Musikrampe. Das überzeugt, weil es nicht als Effekt konstruiert ist, der es auch ist, sondern geradezu angenehm naiv bleibt. Understatement, trotz „Krone“ und Schlauchkostüm. Das muss man ihr erst einmal nachmachen – obwohl: besser nicht, dazu braucht es Haltung. Die jungen Musiker an ihrer Seite finden genügend Spielraum, das musikalische Korsett zu füllen, auszurasten oder sich melancholisch in die Tasten des Klaviers zu legen.
Guitar rocks (John Scofield „Überjam Band Deux“)
Scofields Karriere, so sagt man, startete vor etwa 40 Jahren bei diesem Jazzfest, das damals noch Jazztage hieß. Jetzt ist er entsprechend älter, lobte Monika Roschers Band und ihren Auftritt und ließ dann in seinem Quartett seine aktuelle Form des Jazzrock auf die Zuhörer zuströmen. An seiner Seite ein Ensemble, bestens organisierter Musiker (Avi Bortnick, git; Andy Hess, b und Louis Cato, dm). Wie so häufig zu beobachten: Das Rückgrat bilden Schlagzeug und Bass, die hier wie in anderen Formationen das legen, was man gemeinhin als Groove bezeichnet. Darüber breitet sich die Soloarbeit von Scofield aus, der natürlich immer besser spielt als jeder Rockgitarrist, dafür aber von seiner eigenen Kunst gerne sich selbst blenden lässt; ein bisschen soloverliebt, aber er kann es sich leisten, sein Spiel-Repertoire ist umfangreich genug. Zur Not lässt man sich einfach in dem Jazzrockstrom treiben. (Und wenn man dann plötzlich im Reggae landet: Freude!)
Das alles wäre einigermaßen „interessant“ nur, wenn nicht der zweite Gitarrist mit seinem Sampler-Stack die Sache durchkreuzte – natürlich dienend, doch eigenständig genug. Symbol dafür sein solo, das ganz ohne den Rest der Truppe auskommt.
Fotos: Petra Basche
Summa
Das Jazzfest hat sich, überblickt man die vier großen Veranstaltungen mit den acht Acts, schlußendlich gerundet. Bert Noglik, als künstlerischer Leiter, hat ausgesprochen Glück gehabt. Er selbst sagt, dass er bewusst auf eine Art Motto verzichtet habe. Das ist gut! Denn das Publikum ist ja nicht dumm. Die Querverbindungen zwischen den Acts ergeben sich spontan – aus der Gesamtsituation heraus. Das kann die Groovy-Party-Schiene ebenso sein, wie die Kompositions-Schiene, die Besondere-Instrumente-Schiene ebenso wie die „Legenden“-Schiene. Wenn Noglik das geplant haben sollte, umso besser; wenn nicht, hatte er rein intuitiv das richtige Händchen.
Wir haben hier ja nur die Hauptveranstaltungen besucht. Das Programm auf Seitenbühne, A-Trane, Quasimodo und Akademie der Künste hat mehr als nur Tupfer beigetragen, aber drüber sagen kann man vernünftigerweise nichts, wenn man es denn doch nicht gehört hat.
Die Zugabe von Scofields „Überjam Deux“ legte den ersten Brückenpfeiler ins nächste Jahr: Tomorrow-Land. Eine sanfte Ballade, versöhnlich, persönlich, daunenfedernd.
Martin Hufner
Letzte Impressionen: Fotos: Hufner