Der zweite Tag des Jazzfestes hat im Haus der Berliner Festspiele ein Kontrastprogramm bereitgehalten. Ein großer Kreis, Michael Riesslers „Big Circle“ traf auf ein Jazzquartett um den Schlagzeuger Jack DeJohnette. Kraftsuppe trifft auf kammermusikalisches Quartett. Die Fragen stellten sich an diesem Abend anders:
Reproduktion des Selbst (Michael Riessler)
Der große Kreis von Michael Riesslers Auftritt war recht eigentlich das Zusammentreffen von drei kleineren. Im Zentrum Riessler selbst mit Bassisten und Schlagzeuger (Manuel Orza und Robby Armeen); links davon ein Bläsersextett der Hochschule für Musik und Theater München; rechts der Drehorgel-Virtuose Pierre Charial. Letzteres wirft automatisch die Frage auf: Drehorgel und Jazz? Wie soll das gehen? Werden Lochstreifen improvisierend gelöchert? Nein, die Drehorgel spielt, was man ihr vorgibt. Und vorgegeben ist ihr, was eine über Minuten gehende Soloeinlage anging, eine präzise staunenswerte, rhythmisch-harmonische Arbeit. Was soll daran auch Staunen machen. Den größten Teil unserer Zeit hören wir Musik, die ebenso reproduziert aus dem Radio kommt, auf Schelllackplatten, CDs und sonstigen Tonträgern längst festgehaltenes reproduziert. Daran ist man eigentlich gewöhnt. Aber in der Live-Situation ruft es Verwunderung hervor. Doch die Maschine bewährt sich. Riesslers „Big Circle“ stellt ein Bläsersextett bereit. Auch dieses ist meistens durchkomponiert, nur selten hat jemand die Möglichkeit da herauszubrechen. Die sechs Bläser und Bläserinnen erzeugen den Luftdruck, der die Musik aufsprengt.
Fotos: Petra Basche
Trotzdem bleibt ein blecherner Beigeschmack. Das Zentrum, auch optisch, bildet Riessler selbst. Ein wahnsinnig guter Musiker gewiss, doch landet am Ende jeder Kreis wie in einem Brennglas auf ihm: Ausgiebiges Sologeblase, zirkulär atmend, als wünschte man keine Störung. Das verbindet ihn mit der atmenlosen Musik der Drehorgel. Die Mittel der Kompositionen von Riessler sind nicht allzu feinsinnig. Es sind viele Ostinati, musikalisch ergiebiges Bett seit der Barockzeit der Musik. Gewiss ein leichtes Spiel für jeden Musiker.
Vor allem aber für Riessler selbst. Der komponierte „Big Circle“ fällt immer irgendwie auf ihn, den Solisten, zurück. Egozentrische Musik. Der Dampf verpufft. Die Gruppe schmilzt ab. Der Solist zwingt die Gruppe nieder.
Vier Solisten – Reduktion – eine Band (Jack DeJohnette Group)
Nach der Pause Auftritt des großen Schlagzeugers, an seiner Seite der nicht mindergroße Don Byron, George Calligan (p, keyb, tp) und Jerome Harris (b). Vier ausgeprägte Solisten. Doch wie anders das Bild auf der Bühne. Der Schlagzeuger wie üblich hinten, links der Pianist, recht der Bassist, nächst DeJohnette, Don Byron, ein etwas nach hinten versetzter Frontman. Endlich mal Musik, die sich nicht abmühen muss an etwas oder für etwas, eine Musik, die nicht beweisen muss, dass es sie geben muss. Endlich auch mal Soli, die sich nicht an Tönen überschlagen und überbieten müssen. Endlich mal Musik, die vor sich hinfließen darf. Aber doch vier Solisten, die nicht immer im Zusammenhang stehen. Doch dann gibt es die Momente, wo die Töne und Rhythmen vom Himmel zu fallen scheinen und die Zeit still steht und doch wie im Flug vergeht. Auf so etwas wartet man, manchmal vergeblich wie auf das Glück, das einem ganz notwendig zufallen muss.
Fotos: Petra Basche
Es ist ja nicht so, dass die vier da auch virtuos können. Das können Sie und das zeigen sie auch, am wenigsten noch Jack DeJohnette selbst. Aber virtuose Dichte ist gut eingefädelt. Ein lang angelegtes Solo des Pianisten beginnt mit einer unverhältnismäßig geringe Dichte, Reduktion auf einen Ton, der per pitchcontrol zum Leben gebracht wird. Der Rest der Gruppe schnurrt. Langsam, Stück für Stück erhöht sich die musikalische Dichte des Keyboard-Solos, die Gruppe schnurrt weiter und lässt sich nicht mitreißen. So schafft man musikalische Konturen, so schafft man es die Hörer mit in den Bann zu ziehen. Am Ende merken sie nicht, wie virtuos sie bespielt werden.
Die Zugabe (Miracles Of The Mist – ?)ein Beispiel dieser Reduktionsmusik, die dafür die feineren Adern musikalisch-improvisatorischer Arbeit freilegt – eine lange elegische spinnennetzartige Faktur. Ganz entgeht auch diese Gruppe nicht, ihrem Zentralgestirn Jack DeJohnette zu huldigen. Die großen Fäden behält er in der Hand, Impulse kommen vom ihm, Überraschungen sind nicht zu erwarten.
Martin Hufner
Fotoimpressionen: Martin Hufner