Von der Unmöglichkeit, gute Funktexte zu schreiben.
Ich soll Songtexte schreiben. Drei auf jeden Fall, besser fünf, ja, vielleicht sogar ein ganzes Album. Für Steambowl, eine Funkband, die aus Freunden besteht und so schnell wie möglich durchstarten will. Einen Wunschzettel gibt es auch. Bitte mindestens einen Partysong, so „dreckig“ wie möglich, eine Ballade, mindestens ein sozialkritisches Stück im Stil von Rage Against The Machine und am Besten noch was Kurzes. Twist von Korn, Die fette Elke von den Ärzten. Irgendwie so was. Als Anregungen werden mir Songs von Tower of Power und Jamiroquai geschickt.
Ich mag Funk.
Funk ist die einzige Musikrichtung, bei der ein Bassist mal so richtig vom Leder ziehen kann. Bass ist – mit großem Abstand – mein Lieblingsinstrument. Und ich bin mir sicher, dass es eine Nachfrage gibt für diese Musik, die vor allem live in ihren besten Momenten in der Lage ist, einen geradezu hypnotischen Sog aus Groove und guter Laune zu entwickeln. „Funk ist irgendwie immer da“ beteuert auch mein Mitarbeiter Christian Sommerer. „Er gerät nie aus der Mode, war aber auch noch nie wirklich Mainstream.“ Trotzdem hat der Funk in regelmäßigen Abständen seine Highlights. Egal ob bei James Brown oder den Red Hot Chili Peppers. Auch die interessantesten Pop-Hits des Jahres 2013 – Get Lucky von Daft Punk und Blurred Lines von Robin Thicke – sind Ableger des Funk. (Wobei mein Musikverständnis hier auch schon endet.)
Ich soll also Funksongs schreiben, Hits am besten.
Her mit der Literatur! Ich fresse den Funk, lese mehr als 50 Lyrics am Tag um seine Muster zu erkennen. Regeln, die sich durch alle Funktexte ziehen. So etwas wie der Schlüssel zum ultimativen Funktext.
Es ist nämlich ein weit verbreitetes Missverständnis, dass man solche Regeln nicht kennen muss. Dass deren Erforschung von einem Mangel an Kreativität zeugt. Ganz im Gegenteil: Je mehr Regeln man kennt, desto kreativer muss man sein, um sich entweder gezielt ein Korsett umzuschnallen oder den Stil zu brechen.
Beim Actionfilm zum Beispiel gibt es die Regel, dass jeder Actionheld an mindestens einem Punkt des Films in der Klemme stecken muss. Indiana Jones steht auf einer Hängebrücke, von beiden Seiten pirschen sich Ninjas heran. Stirb Langsams John McLane hebt die Hände hoch, zwanzig Maschinenpistolen sind auf ihn gerichtet. James Bond ist auf einer Bahre gefesselt, ein Laserstrahl nähert sich langsam seinem Hodensack.
Der Zuschauer erwartet diese Szene schon in der Schlange vor der Kinokasse. Wenn er sie bei einem Actionfilm nicht bekommt ist er enttäuscht wie von einem Western ohne Landschaftsaufnahmen oder einem 3D-Film ohne Plop!-Effekte.
Die Haupthandlung eines klassischen Hollywoodfilms der Länge 120 Minuten setzt nach genau 30 Minuten ein. So etwas wie: „Der Held entschließt sich aufzubrechen, um den Drachen zu Töten.“ Oder: „Plötzlich ist die Heldin schwanger und muss ihr Leben ändern.“
Wirklich, man kann die Zeit danach stoppen. Egal, ob es sich um Philadelphia handelt oder Beim ersten Mal. Der zweite große Handlungstwist („Der Held wird schwer verwundet“ / „Die Heldin merkt, dass sie sich nie vollständig ändern wird“) setzt nach genau 90 Minuten ein. Diese Regeln sind sogar so starr, dass Filmproduzenten und Drehbuch-Scouts oft nur die Seiten 30 und 90 aufschlagen, wenn sie ein neues Drehbuch in den Händen halten. Ohne die entsprechend gesetzten Handlungstwists würde sich ein Hollywoodfilm anfühlen wie eine Pointe, die nicht zündet. Anstrengend, langweilig, plan- oder lieblos. (Genau das war lange Zeit der Vorwurf gegenüber europäischen Filmen. Bis die Drehbuchautoren begannen, entsprechende Muster aus Übersee anzuwenden.)
Filmemacher wie David Lynch, Quentin Tarantino oder Christopher Nolan müssen tief in die Trickkiste greifen, um solche Regeln der Erzählkunst gekonnt nicht einzuhalten. (Der vielleicht spannendste Film aus dieser Reihe ist Kill Bill Volume 1. Keine Ahnung, wieso dieser Film trotzdem funktioniert.)
Auch Popsongs folgen solchen Regeln. Neben der klassischen Länge von drei Minuten, inhaltlicher Zensur und der strengen Abfolge – Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Zwischenspiel, Refrain, Refrain – müssen die Texte extrem zugänglich sein. Gerade wenn man den Anspruch hat, dass schon beim ersten Hören mitgesungen werden können soll.
Dazu nehme man eine möglichst nichtssagende Strophe. Etwas wie: It was hard / Right from the start / You broke my heart / I fell apart / But I won’t take it longer / Now I’m stronger / Fire / Desire / I scream / In my dream. Das deutsche Analogon wäre der Herzschmerzscherzvers.
Und ein Refrain mit markantem Wort oder einer Parole, die man so noch nie gehört hat. I kissed a girl and I liked it. Da-didl-dum, der Kommissar geht um. Die französische Clubhymne Alors en danse ist das vielleicht beste Beispiel dafür, dass der Refrain nicht einmal inhaltlich verstanden werden muss, um einschlägig zu sein und mitgesungen werden zu können. Noch dazu, wenn innerhalb des Songs explizit dazu aufgefordert wird. Dazu ein schickes Video und ein tanzbarer Grundbeat… In vieler Hinsicht ist auch Alors en danse der perfekte Hit.
Aber die Mischung aus Beliebigkeit in den Strophen und einem geradezu archaischen Refrain liegt auch bei so gut wie jedem Rihanna-Song vor. Ich tue mir schwer, bei Rihanna von einer Künstlerin zu sprechen (selbst der Begriff Interpretin wäre charmant), doch jeder ihrer Songs ist seine eigene Marke und ragt – nicht zuletzt wegen dem Text – markant aus dem sonst so seichten Meer aus Radiopop heraus. Wer sonst hat zuvor einen Regenschirm besungen? Oder Diamanten im Himmel? Oder die Liebe zur Lüge? Eine mir bekannte Funkband jedenfalls nicht.
Nein, im Funk scheint es nur um „Energie“ zu gehen. Also um Party, Tanz, Musik und Sex. OHNE JEDE REGEL. Nicht einmal Metaphern werden hier verwendet. Der Unterschied Pop/Funk sieht ungefähr so aus
Pop: Die Nacht ist nicht zum Schlafen da…
Funk: Baby, komm her!
Die Songs heißen You Got To Get Funkifize, Down To The Nightclub, If I Like It I Do It, Celebration, Let’s Celebrate!, I Want To Celebrate, Celebrate Our Love oder Baby All Night Long. „Das wichtigste beim Gesang“, sagt Christian Sommerer „sind die Au!-s und Uh!-s. Der Text ist Wurst.“
Nimmt mit zunehmender Komplexität der Musik die Komplexität der Texte ab?
Ein befreundeter Jazzmusiker erzählte mir einmal, bei ihnen im Jazztrio hätten sie immer darum gewürfelt, wer die Texte schreiben muss. Bei mir stieß diese Anekdote auf Unverständnis. Aber auf einmal wurde mir klar, wieso so viele Berufsmusiker nichts mit HipHop oder Bands wie Element Of Crime anfangen können. Denn auch die Texte der sonstigen großen, komplizierten Musik, Klassik, sind thematisch begrenzt. („Preiset den Herrn!“) Muss man wirklich Frank Zappa heißen, um wilde Live-Band-Musik mit interessanten Texten zu kombinieren?
Gibt es ihn überhaupt, den guten Funksongtext?
Die schlechte Nachricht lautet: Nein, was schade ist, wird gerade hierzulande in den letzten Jahren wieder mehr Wert gelegt auf (deutsche) Texte. Die gute Nachricht lautet: Nein. Aber es gibt trotzdem Funksongs mit Poptexten. So wie Carwash. Oder neuerdings die von mir. Ja, vielleicht sind Konzept-Texte sogar die Möglichkeit, den Funk um eine neue Komponente zu bereichern. Carwash jedenfalls befindet sich in bester Gesellschaft.