Die Zeit vor der Sommerpause war nicht eben arm an unbequemen Wahrheiten für den braven Bürger. Von den fast schon serienmäßigen Plagiatsvorwürfen an Spitzenpolitiker, über die in bisher ungeahntem Ausmaß von Geheimdiensten betriebene Ausspähung der Zivilgesellschaft bis hin zur scheinbar hemmungslosen Verschleuderung von Steuergeldern im Zuge der Euro-Hawk-Affäre, hatte es genug Unerfreuliches gegeben; Grund genug sich auf das erfahrungsgemäß blutdrucksenkende mediale Sommerloch, mit Klatschmeldungen über abgehalfterte C-Prominente, Skandalreportagen über blutige Kriege in Kleingartenanlagen und neuen kulturellen Sternstunden im Privatfernsehen zu freuen, aber weit gefehlt! Streit um die Künstlersozialkasse sowie offensichtliche und verdeckte Sparmaßnahmen im Kulturbereich beherrschten die Schlagzeilen der Feuilletons und machten wieder einmal deutlich, wie wichtig eine starke Interessensvertretung für Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker ist.
Die Union Deutscher Jazzmusiker kann mit Stolz vermelden, dass sie nach einer Verdreifachung ihrer Mitgliederzahlen 40 Jahre nach ihrer Gründung mit über 400 Mitgliedern ungemein vital und präsent ist. Die Vorstandsmitglieder der Union Deutscher Jazzmusiker sind in den Medien gegenwärtig und werden als Experten in den Bundestag, zu Podiumsdiskussionen und in Jurys eingeladen, wo sie sich für Jazz in Deutschland einsetzen und die Interessen ihrer Mitglieder wahren. In Kooperation mit Fachzeitschriften und Fachzeitungen – wie derjenigen, die Sie in der Hand halten – Versicherungen, Studios, Notenhändlern und vielen anderen, bietet die Union Deutscher Jazzmusiker für ihre Mitglieder Sonderkonditionen und Rabatte an. Derzeit bringt sie gemeinsam mit dem Jazzinstitut Darmstadt und der Interessensgemeinschaft (IG) Jazz Berlin eine aktuelle Studie zur Untersuchung von Lebens- und Arbeitsbedingungen von Jazzmusikerinnen und -musikern in Deutschland auf den Weg. Grundlage für zielführende Diskussionen um eine Verbesserung dieser Bedingungen, ist handfestes Zahlenmaterial, was heute fehlt.
Das Gezerre um die Künstlersozialkasse, das alle Musiker-, Künstler- und Publizistenverbände derzeit beschäftigt, geht auch die Jazzszene an, deren Protagonisten häufig Freiberufler sind. Naturgemäß sind Jazzschaffende auf eine starke Solidargemeinschaft angewiesen und so wirken Schlagzeilen mit Reizworten wie „Bedrohung“, „Ende“ und „Aus“ jener für sie so wichtigen Institution, mehr als beängstigend. Dass die Petition des Deutschen Tonkünstlerverbands zur Erhaltung der Künstlersozialkasse am Ende fast eineinhalb mal so viele Unterschriften wie nötig erhielt, ist ein gutes Zeichen. Nun muss geprüft werden, wie verhindert werden kann, dass Verwerter von künstlerischen Leistungen die dafür fällige Abgabe an die Künstlersozialkasse umgehen und damit dem gesamten Solidarsystem schaden. Die Union Deutscher Jazzmusiker spricht sich für einen konstruktiven Dialog zwischen Politik, Unternehmen und Versicherern aus, bei dem die versicherten Künstler, stärker als bisher, eingebunden werden.
Die Szenen einer weiteren Fehde, die derzeit jazzpolitisch in Baden-Württemberg hohe Wellen schlägt, lassen einem die Haare zu Berge stehen. Da soll in der Landeshauptstadt der zweitälteste Jazzstudiengang der Republik geschlossen und die Jazz- und Popkapazitäten an der Musikhochschule in Mannheim „gebündelt“ werden, die ihrerseits ihre Klassikabteilung aufgeben muss. Die dadurch verstärkte Separation von Klassik und Jazz ist nicht nur musikhistorisch Unsinn, sondern auch für das Musik- und Kulturleben im Allgemeinen und die Musikerausbildung im Besonderen höchst fragwürdig. Das Vorhaben zeigt klar in die falsche Richtung. Darüber hinaus stellt sich die Frage, mit welcher Rechtfertigung der Studiengang, der 2011 sein 25-jähriges Jubiläum feierte und dem die damalige Landesregierung noch mit Stolz für seine „zukunftsweisende Entwicklung“ gratulierte, nun geschlossen werden soll. Mit dem landeseigenen Jazzpreis Baden-Württemberg wurden in den letzten zehn Jahren fast ausschließlich Absolventen des Stuttgarter Jazzstudiengangs ausgezeichnet. Somit würde dasselbe Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, welches dem Jazzinstitut Stuttgart seit Jahren ein Qualitätssiegel nach dem anderen verleiht, dessen Schließung verantworten, wofür der zuständigen Ministerin sogar aus den eigenen Reihen Kritik entgegenschlägt. Darüber hinaus schadet eine Verlegung der Hochschuljazzabteilung dem Jazz in Stuttgart ganz erheblich. Die Symbiose und Synergieeffekte zwischen den Jazzszenen der deutschen Städte und den jeweiligen Hochschuljazzabteilungen, sind integraler Bestandteil der lokalen Musiklandschaften und somit essentiell für die gesamtdeutsche Szene. Der gegenseitige Austausch von Etablierten und Nachwuchsmusikern sowie die Frischzellenkur durch den Zuzug immer neuer Studierender schafft eine klassische „win-win“-Situation, die selbst dem schwäbischsten aller Haushaltsverantwortlicher einleuchten dürfte.
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bezeichnete in einer vielzitierten Rede von 1991 die Förderung von Kultur als eine nicht minder wichtige Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand als den Straßenbau. Die von der Ministerin Theresia Bauer auf 4 Millionen Euro geschätzte, stufenweise Entlastung des Landeshaushalts durch Kürzungen im Musikhochschulbereich, steht in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden kulturellen Langzeitschäden durch die Vernichtung von über Jahrzehnte gewachsenen musikalisch-künstlerischen Strukturen in Baden-Württemberg. Die Einsparungen entsprechen weniger als zwei Prozent des jährlichen Budgets für Straßenbau- und -unterhaltung des Landes – ausreichend vielleicht für den Bau eines kleinen Autobahnabschnitts!
Im Norden der Republik hatte die Sparschlacht um den Bielefelder Bunker Ulmenwall, einen der profiliertesten und künstlerisch innovativsten JazzRockPop-Spielorte der Republik, für großes Aufsehen gesorgt. Zwar wurden nun die städtischen Zuschüsse um ein knapp ein Viertel dramatisch gekürzt, der Betrieb konnte aber dank des beispiellosen Engagements der Mitarbeiter und der Bielefelder Bürger vorerst gesichert werden. Die erfolgreiche Kampagne für die Rettung des Bunkers lieferte den Beweis für das Vorhandensein großer Solidarität zwischen Kulturmachern und Kulturkonsumenten.
Die Union Deutscher Jazzmusiker ist sich der entscheidenden Bedeutung der Spielstätten für eine lebendige Jazz-, Rock- und Pop-Landschaft in Deutschland bewusst. Sie hat sich deshalb nachdrücklich für den in diesem Jahr zum ersten Mal von der Bundesregierung vergebenen Spielstättenprogrammpreis eingesetzt. Über 300 eingereichte Bewerbungen dokumentieren einerseits den großen Bedarf an öffentlicher Förderung, andererseits auch eine gute Kommunikation und Informationsverbreitung im Jazz-, Rock- und Pop-Bereich. Wir freuen uns sehr, dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann mit Angelika Niescier und Felix Falk gleich zwei Mitglieder des Vorstandes in die Jury berufen hat. Ein zentrales Ziel der Union Deutscher Jazzmusiker ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Musikerinnen und Musiker, welche als Ziel ausdrücklich in den Teilnahmebedingungen des Spielstättenprogrammpreises festgeschrieben ist. Zusätzlich hat sie gemeinsam mit Jazz-Veranstaltern eine Willenserklärung verfasst, deren Ziel es ist zu verdeutlichen, welche Mindeststandards einerseits bei der Spielstättenförderung und andererseits bei den Bedingungen für ausübende Künstler erreicht werden müssen, um langfristig das künstlerische und kulturelle Potential zu erhalten und weiter zu entwickeln. Solche Vereinbarungen unterstützen die Qualitätsstandards im Livemusiksektor, befördern eine nachhaltig starke Szene, zeigen Wertschätzung für exzellente künstlerische Leistungen und die nicht selten ehrenamtliche Arbeit von Programmmachern und sorgen innerhalb der öffentlichen Subventionsstrukturen für eine effektive und motivierende Förderung freischaffender Künstler und Spielstätten.
Erst im Juli wurde wieder ein hervorragendes und vielversprechendes junges Jazz-Trio im Rahmen der Bundesbegegnung „Jugend jazzt“ mit dem Sonderpreis der Union Deutscher Jazzmusiker im hessischen Schlitz ausgezeichnet. Jetzt steht die Verleihung des renommiertesten deutschen Jazzpreises an. Die Union Deutscher Jazzmusiker verleiht im November dieses Jahres zum elften Mal den Albert-Mangelsdorff-Preis. Die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde 1994 erstmalig und seit 1995 alle zwei Jahre an eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Jazzszene verliehen. Wurde der Preis in der Vergangenheit an profilierte Künstlerpersönlichkeiten für ihr Lebenswerk verliehen, stehen erstmalig in diesem Jahr auch jüngere Künstlerinnen und Künstler, mit einem nachhaltig prägenden Einfluss auf die deutsche Jazz-Szene, zur Wahl. Die Entscheidung der hochkarätig besetzten Jury wird im Herbst bekanntgegeben. Die Verleihung findet am 3. November um 15 Uhr im Rahmen des Jazzfests Berlin im Haus der Berliner Festspiele statt.
Mehr Informationen zur Union Deutscher Jazzmusiker im Web (www.u-d-j.de), auf Facebook (www.facebook.com/uniondeutscherjazzmusiker) und Twitter (@udjonline)
Jonas Pirzer