Der Barpianist

Am 27. Dezember 2011 zitierte Karl Lippegaus in der Süddeutschen Zeitung einen angeblichen (und anonymen) Besucher des Jazzfests Berlin. Der soll Folgendes gesagt haben: „Dass ein eher barpianistisch ausgerichteter Finne einen Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik bekommen kann, ist nicht mehr nachvollziehbar.“ Der zitierte Jazzfest-Besucher wertete diese Preisentscheidung als Hinweis darauf, dass es im Jazz keinen „Point of Reference“ mehr gebe.

In der Tat wackeln in der Jazzwelt die Maßstäbe und Orientierungen. Bestes Beispiel dafür ist, dass ein informierter Jazzfest-Besucher – womöglich ein Jazzkenner – offenbar nicht mehr den Unterschied zwischen Iiro Rantala und einem Barpianisten zu erkennen vermag und dass ein Karl Lippegaus – bekanntlich ein Jazzkenner – das anonyme Zitat in einer großen Tageszeitung verbreitet, ohne ihm zu widersprechen.

Iiro Rantala, der fast 20 Jahre lang das finnische Trio Töykeät leitete, ist dem Klavierkritikergeraune vom tiefgründigen Harmonisieren, bedeutenden Balladieren, ekstatischen Meditieren und sparsamen Melancholisieren nie auf den Leim gegangen. Er liebt es vielmehr, spontan, virtuos, vital, lustvoll, humorvoll und intelligent mit Tönen, Phrasen und Rhythmen zu spielen. Sollte dies ausreichend  sein, um als Bar- oder Bistropianist zu gelten, so befindet er sich jedenfalls in guter Gesellschaft. Fats Waller, Earl Hines, Art Tatum, Teddy Wilson, Bud Powell, Oscar Peterson, Chick Corea, Stefano Bollani und viele andere Kollegen heißen ihn im Barpianisten-Club herzlich willkommen.

 

 

 

 

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