Letzten Sonnabend, Berlin Friedrichshain, Café Tasso. Unten in der Ladezeile der alten sozialistischen Prachtstraßenbaus der ehemaligen Stalin-Allee. Dort hat sich das Café Tasso angesiedelt. Antiquariat und Café mit Bio-Touch. Ein Wohnzimmer mit Schaufenster. Es ist beinahe untypisch früh für einen Jazzauftritt. Aber es gibt keine Konzessionen. Gewöhnlich beginnen hier die kulturellen Veranstaltungen gegen 20 Uhr. Heute scheint ein Teil des Schlagzeugs defekt zu sein. Verspätung. Auftritt gegen kurz vor neun ein Quintett alten, bewährten Jazzerschlages: Trompete, Saxophon, Piano, Bass und Schlagzeug. Name: Orbit. Orbit im Sputnikgebiet.
Draußen flanieren die frühen Vögel des Abends über den Boulevard, irgendwelche Getränke in der einen Hand haltend, die andere steckt in der Hosentasche oder wird zum Gestikulieren benötigt. So ist das mittlerweile ja Brauchtum.
Gebildet von Jazz-Studenten aus Dresden, Weimar und Berlin. Der Band-Leader sitzt am Schlagzeug: Halym Kim. Vor nicht langer Zeit waren er und der Pianist Johannes Ballestrem noch Schüler an einem Gymnasium in Zehlendorf, einer besseren Gegend von Berlin. Dort praktiziert man seit Jahren eine gepflegte Jazzausbildung für Jedermann und Jederfrau. Durch drei Bands geht es da: Vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen. Die Schule hat gewirkt. Die Musiker haben die BigBands durchmessen. Jetzt sind sie Solisten in einer Band.
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Weitere Fotos von Pepa.
Mit dabei Niklas Kraft (Tenorsaxophon), Jan Kaiser (Trompete) und Paul Lapp (Kontrabaß). Die Bande sieht pausbäckig aus. Eben wie der Schule entsprungen. Für diesen Abend haben sich die Jungs vorgenommen, Jazz der 60er Jahre, wie er durch Musiker wie Wayne Shorter repräsentiert wird, neu erklingen zu lassen. Das Café ist bis ins Antiquariat hinein gefüllt, vor der Eingangstür stehen weitere Zuhörer in der schon etwas kalten, frischen Luft. Das Publikum, gemischt alt, Freunde, Bekannte und Interessierte. Man hat es hier nicht immer so voll, heißt es.
Da stehen sie, die Jungs, gedrängt in der Ecke, fast zugeklemmt und legen los. Die 60er Jahre landen im erweiterten Wohnzimmer. Es fehlt etwas der Nikotindunst, und ein paar Zigrettenspender kurioser Art würden sehr gut passen in das Szenarium hier. Sie legen los und es klingt von Beginn an wirklich wie Musik aus den 60ern. Nicht nur die Stücke selbst, sondern Tonfall, der Stil der Soli. Es klingt wie alte Musik. Nur die Musiker scheinen nicht dazu zu passen. Woher nehmen die diese musikalische Erfahrung in diesem jungen Alter? Man muss die Augen zumachen. Oder während dessen in einer der Antiquariatskisten schmökern.
Über eine Stunde lange spielt Orbit auf einem technischen Niveau das geradezu beängstigend gut wirkt. Am Rande der Perfektion. Gleichwohl: so ganz funkt es nicht ins Publikum hinein. Die Reaktionen sind so nüchtern wie die Uhrzeit. Richtig locker wird es nicht. Man selbst kann sich ganz gewiss an den souverän ausgespielten Soli erfreuen, dem Eingangssolo des Bassisten Paul Lapp in McCoy Tyners Contemplation versunken lauschen, den hin- und wieder doch gewagteren Soli des Pianisten Johannes Ballestrem die musikalischen Funken abjagen.
Nach etwa anderthalb Stunden in einem Set ist alles vorbei. Ein Körbchen wird herumgereicht. Es wird um Spenden gebeten. Ein bisschen was kommt da zusammen, immerhin. Der Aufforderung des Veranstalters, eine Zugabe zu geben, wird nicht nachgekommen. Irgendwas stimmt nicht. Die Musiker gehen eher missmutig aus dem Raum. Irgendein Stress ist da. Draußen vor dem Café trifft man sich zum Abrauchen. Musikerkollegen begrüßen und beglückwünschen sich. Das Café ist ein Café und hat keine Konzessionen für ausuferndes Nachklappen.
Auf der Rückfahrt dann schon gegen halb elf die ersten städtischen Jungdynamiker, die ihren bisherigen Abend in die Abfalltonnen auf dem U-Bahnsteig kotzen.