Ausgabe Februar 1999GLOSSEAutor: |
Swingende Systole Anfangs glaubte mein Hausarzt, an meinen hohen Blutdruckwerten sei nur seine hübsche Sprechstundenhilfe schuld. Später hatte er meine Alkohol- und Nikotinexzesse im Verdacht, dann vermutete er wiederum ein Vereinsamungs-Symptom und empfahl mir ein Haustier. Bald besaß ich drei Wellensittiche, ernährte mich von Anti-Raucher-Kaugummi und stillem Quellwasser und ging nur noch mittwochs zum Arzt, wenn die hübsche Gaby ihren freien Tag hatte. Meinen Blutdruck interessierte das alles wenig. Jetzt meint mein Hausarzt, es komme nur eine einzige Ursache noch in Betracht: der Jazz. Adrenalintreibende Modal-Improvisationen, systolisch durch-schlagende Backbeats und ein die Betarezeptoren stimulierender Swing seien pures Gift für meine Gesundheit. In der medizinischen Literatur, sagt mein Hausarzt, vermute man schon lange einen Zusammenhang zwischen den Synkopen schwarzer Musik und der weitverbreiteten Hypertonie der Afro-Amerikaner. Er wird mir wahrscheinlich eine Mozart-Kur in Salzburg verschreiben, vier Wochen ganz ohne Jazz und seine Nebenwirkungen. Eines sage ich Ihnen: Morgen verschenke ich meine Vögel, fange wieder das Rauchen und Trinken an und nehme Gaby zu einem Jazz-Konzert mit. Man gönnt sich ja sonst nichts. |
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