Ausgabe Februar 1999STORYEigensinn und EnergieAnmerkungen zu Christof Lauers neuer CD "Fragile Networks"Autor: Fotos:
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Sein energiegeladenes,
hochexplosives Tenorspiel gab schon so mancher Band die Würze. Früher waren das Uli
Beckerhoffs "Riot", Heinz Sauers "Voices" oder das Joachim-Kühn- Mancher schrieb, Christof Lauers Spiel komme aus der "schwarzen" Tenor-Tradition, andere entdeckten bei ihm so unterschiedliche Einflüsse wie Stan Getz und Albert Ayler. Wahrscheinlich hatte ein britischer Kritiker ganz recht, als er feststellte, Lauer sei nicht nur aus dem übermächtigen Einfluß Coltranes herausgetreten, sondern habe auch eine solche Bandbreite an Stilistiken assimiliert, daß er überhaupt keiner Schule mehr zugeordnet werden könne: "He is very much his own man". Der Satz ist nur zu wahr: Eigenständigkeit, Beharrlichkeit, Konsequenz sind die wichtigsten Tugenden auf Christof Lauers musikalischem Lebensweg. Das mag ein Grund dafür sein, daß einer der besten Saxophonisten Europas mit 45 Jahren noch als Geheimtip gilt. Mehr geprägt als durch jede Saxophon-Stilistik ist Lauer durch die künstlerische Haltung, der er in der Frankfurter Szene begegnete - speziell in der Zusammenarbeit mit dem Jazz-Ensemble des Hessischen Rundfunks. "Hier habe ich gelernt, eigen zu denken und darin mehr Sinn zu sehen als im Versuch, andere zu kopieren oder mich nach Moden und Vorbildern zu richten. Unter den Frankfurter Musikern gibt es einfach ganz eigenständige Charaktere wie Heinz Sauer, Albert Mangelsdorff, Ralf Hübner. Deren Kompromißlosigkeit hat mich total positiv beeinflußt." Das Jazz-Ensemble traf sich früher bis zu dreimal im Monat und erarbeitete in drei Stunden zwei oder drei Stücke. "Das ist oft unheimlich kreativ: Manchmal entwickeln sich die Stücke ganz anders als vorgesehen - eben durch die Mitarbeit der anderen. Es ist eine kollektive Ideenschmiede." Einige der schönsten Ergebnisse dieser Workshops wurden übrigens 1995 auf der Doppel-CD "Atmospheric Conditions Permitting" (ECM/Motor) veröffentlicht. Die oft schroffe, manchmal knorrige Strenge von Christof Lauers Spiel schien auf seiner letzten CD, "Evidence" (1995), ihr gültiges Format gefunden zu haben: nur Sax, Baß, Drums - pur, ohne Soda. Die neue CD, "Fragile Network" (Act/Edel Contraire), korrigiert dieses Format nicht, sondern ergänzt es. Michel Godard, der Tuba und Serpent unkonventionell als Solo-Instrumente einsetzt, und Marc Ducret, der seine Gitarre so markant sperrig handhabt, erweitern den harten Trio-Kern zum Quartett oder Quintett. Hier die zwei hochkreativen Franzosen, dort das schwarze Rhythmusgespann Anthony Cox & Gene Jackson: Produktive Reibungen waren angesagt. "Es ist mir wichtig, Musiker zu haben, die sich einbringen wollen und nicht nur spielen, was auf dem Zettel steht", bestätigt Lauer. "Vor der Aufnahme haben wir zwei Tage geprobt, dann dreieinhalb Tage aufgenommen. Da entwickelt sich vieles weiter. So stelle ich mir die ideale Studio-Arbeit vor." Lauers aktuelle Musik ist fordernd wie eh und je: nervös-virtuose Themen, komplexe Funk-Rhythmen, schneidende Chromatik. In den langsameren Stücken bevorzugt er deutlich das Sopransaxophon: Seit etwa zwei Jahren steht es für ihn gleichwertig neben dem Tenor, während es früher nur ein Nebeninstrument war. "Ich finde den Klang vom Sopran ganz toll. Wenn Wayne Shorter Sopran gespielt hat, war das für mich immer der helle Wahnsinn. Ich habe mich aber lange Zeit nicht konsequent mit dem Sopran beschäftigt - als einem eigenständigen Instrument. Erst jetzt habe ich festgestellt, daß man auf dem Sopran ganz anders arbeiten muß, denn es erfordert dieselbe Konzentration wie das Tenor. Schon allein durch die Tonlage wird man auf dem Sopran anders inspiriert. Ich setze es heute ganz gezielt für Stücke ein, die - wie ich meine - nur auf dem Sopran gut klingen." Wer den lakonischen Hessen spielen und sprechen hört, begreift rasch, daß dieser Mann aus einer Zeit kommt, in der der moderne Mainstream nicht das selbstverständliche Eingangstor in den Jazz war. Lauer sollte ursprünglich klassischer Cellist werden und fand mit 17 Jahren über die zeitgenössische E-Musik erst einmal zum Avantgarde-Jazz. Die historischen Wurzeln dieser Musik entdeckte er erst nach und nach, und heute noch kann der NDR-Big-Band-Bläser mit dem Orchester-Swing eines Glenn Miller und Benny Goodman "überhaupt nichts anfangen". Am liebsten hört er klassische Klaviermusik: "Wenn ich Bach höre (den ich stundenlang hören kann), werde ich melodisch in anderen Dimensionen inspiriert." Große Pläne für die Zukunft? "Ich träume immer mehrgleisig", sagt Lauer vorsichtig. Ein Projekt mit Sinfonie-Orchester schwebt ihm vor, das sowohl avantgardistisch als auch balladenbetont sein könnte. Auch der Einstieg in ethnische Synthesen, bei denen man sich nicht verstellen muß, würde ihn reizen: für Lauer ein neues Feld. Gewiß ist nur eines: Er wird weiterhin seinem Eigensinn folgen und sich sein Spielfeld selbst erfinden. Eine Jazz-Szene, in der die Mainstream-Norm und die organisierte Verschulung dominieren, hat Eigenbrötler und Querköpfe wie Christof Lauer bitter nötig. |
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