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Ausgabe Oktober 1998

PORTRAIT

Happy Birthday Mr. Gershwin

Ein Projekt für Kammerorchester und Jazz-Quintett

Autor:
Michael Scheiner

Foto:
Helmut Ölschlegel

Tourplan Oktober/November

1.10. Selb, Rosenthal-Theater

3.10. Germering, Stadthalle

10.11. Ilmenau

12.11. Erlangen, Stadthalle

13.11. Aschaffenburg, Stadtth.

15.11. Berlin, HdK

Diskographie

Kammerorchester Schloß Werneck & Jazz Age Quintet, "Happy Birthday, Mr. Gershwin!", Balthasar 001/WOR

(Bestellung:
Fax: 09131/604151)

gershwin.jpg (9482 Byte)1928 war der damals dreißigjährige und bereits sehr erfolgreiche George Gershwin zur Geburtstagsparty des von ihm bewunderten Maurice Ravel in Paris eingeladen. Gersh-win nahm sich ein Herz und bat den Meister um Unterricht. "Warum wollen Sie ein zweitrangiger Ravel werden, wo Sie doch ein erstrangiger Gershwin sind?", fragte dieser zurück. Ähnlich erging es Gershwin, der stets von einem Gefühl des Ungenügendseins getrieben war und ständig dazulernen wollte, mit Igor Strawinsky. Nachdem sich der Russe nach Gershwins Einkommen erkundigt hatte, meinte er spöttisch zu dem Amerikaner: "...dann müßte ich eigentlich bei Ihnen Unterricht nehmen!"

"Er komponierte Amerika", heißt treffend eine Biographie über den Komponisten George (eigentlich Jacob) Gershwin (* 26.9.1898, † 11.7.1937), dem es gelungen war, durch die Synthese von populärer und "classical music" eine eigenständige Musiksprache zu entwickeln. Der Einfluß, den der mächtig aufkeimende Jazz aus New Orleans und Chicago auf den jungen musikbesessen-en Sohn jüdisch-russicher Einwanderer hatte, war dabei unüberhörbar. Später sollten seine Melodien wiederum ganze Generationen von Jazzmusikern beinflussen.

Bereits mit 16 fing Gershwin als Angestellter in einem Musikverlag in der berühmten "Tin Pan Alley" an, Songs zu komponieren. Mit 21 hatte er seinen ersten großen Erfolg mit einer Revue im Stil von Irving Berlin und Jerome Kern. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Mit seinem Bruder Ira als Texter schuf er zahlreiche Songs und Broadway-Musicals wie "Girl Crazy", die bittere Satire "Strike Up the Band" und "Lady be Good", mit denen er das ganze Land eroberte. Als erster Komponist erhielt Gershwin für sein politisch-satirisches "Of Thee I Sing" den renommierten Pulitzerpreis. Zahlreiche Songs aus den insgesamt 25 Revuen und Musicals und zwei Opern, die er bis zu seinem frühen Tod 1937 komponiert hatte, finden sich noch heute im Repertoire zahlloser Jazzmusiker und Vokalinterpreten: "I Got Rhythm", "Summertime" aus der sogenannten Negeroper "Porgy And Bess" und "A Foggy Day" ge-hören dazu.

Einige dieser Titel sind auch auf der Live-CD "Happy Birthday, Mr. Gershwin" enthalten. Es ist der Mitschnitt eines erfrischenden und mitreißenden Galaprogramms zum 100. Geburtstag des Komponisten. Von der Besetzung bringt es zusammen, was auch Gershwin in seiner Musik verband: klassische Streicher und Jazzmusiker. Das Kammerorcherster Werneck unter der Leitung Ulf Klausenitzers und das "Jazz Age Quintet" des Erlanger Bassisten Rainer Glas mit der Sängerin Sandy Patton sowie dem singenden Schlagzeuger Pete York touren damit seit fast einem Jahr höchst erfolgreich durch Deutschland. Von Leipzig bis Schweinfurt, von Deidesheim bis Seesen sorgen sie für "standing ovations" in ausverkauften Theatern, Stadthallen und Kursälen. Im Grunde ist es das klassische Third-Stream-Konzept, wie es Gunther Schuller in den 50ern und 60ern aus der Taufe hob, der französische Pianist Jacques Loussier mit seinem Konzept "Play Bach" für kleine Combo umsetzte und wie es in jüngerer Zeit von vielen europäischen Musikern und Jazzkomponisten variiert wird. Ein selten glücklicher Umstand brachte die verschiedenen musikalischen Lager zusammen. Vor vier Jahren feuerte das Kammerorchester seinen damaligen Manager. Auf der Suche nach Ersatz riet der Nürnberger Pianist und Dozent Chris Beier Ulf Klausenitzer doch einmal bei Rainer Glas anzuläuten. Der willigte ein und daraus wuchs wenig später ein Programm "Von Bach zu Brubeck" als erstes Fusion-Projekt von Klassik und Jazz mit dem Dave Brubeck Quartet. Beflügelt vom Erfolg, gestand man sich mit Blick auf den Geburtstag George Gershwins die gegenseitige Neigung für den Jahrhundertkomponisten ein, und flugs war das nächste Projekt geboren. Der schwäbische Pianist Martin Schrack konnte gewonnen werden und arrangierte die "Rhapsodie in Blue", bei der er den Klavierpart übernimmt, und die Evergreens von Gershwin für die komplette Gala. Von der durchgängigen Meinung im Jazzlager, daß Streicher nicht swingen können (die selbst in einschlägigen Lehrbüchern verbreitet wird) ließ er sich nicht abschrecken: Er sang den 15 Streichern vor, wie sie phrasieren sollten. Das Ergebnis überzeugt. Auf eine zuckrige Begleitsoße läßt sich der Beitrag des Kammerorchesters nicht re-duzieren – wie vielleicht voreingenommene Jazzliebhaber argwöhnen könnten. Schwungvoll und mit beherztem Strich fügt es sich in das Swingkonzept ein, ohne solistische Ausreißer zwar, aber dafür verfügt das Quintett mit dem Klarinettisten Stephan Holstein (sax) und mit Schrack selbst über ausgezeichnete Solisten. Spaß machen die launigen Ansagen Petes, und wenn er singt, klingt es wie eine männliche "Mary Poppins". Während York die Songs zwischen Sentiment und schillernder Ironie anlegt, entzündet Sandy Lomax, die inzwischen durch die Sängerin Sandy Patton ersetzt worden ist, ein soulig knisterndes Feuer mit ihrem kraftvollen Alt. "Happy Birthday, Mr. Gershwin!" kommt ganz und gar unakademisch daher. Es ist eine Umsetzung der schönen Melodien, wie sie sich Gershwin gewünscht hätte: unprätentiös, augenzwinkernd und mit begeisternder Hingabe gespielt. Fürs nächste Jahr planen das Kammerorchester und Rainer Glas bereits den nächsten Streich: Eine große Gala zum 100. Geburtstag Duke Ellingtons – "Happy Birthday Duke!"