Ausgabe September 1998 PORTRAIT Der letzte Entertainer Für Clark Terry gehört auch Show zur Kunst Autor: Reinhard Köchl Fotos: Clark Terry und sein aktuelles Quintett mit Don Friedman (Piano), Dave Glasser (Altsaxophon), Marcus McLaurine (Baß) und Sylvia Cuenca (Drums) treten am Samstag, 12. September, (20.30 Uhr) im "Birdland" in Neuburg/Donau (Am Karlsplatz A 52) auf. Reservierungen unter Telefon (08431) 41233 oder per Fax (08431) 46387.
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Was Clark
Terry bei Duke, Basie und den anderen lernte, reicht er bedingungslos an eine neue
Generation von Musikern/Hörern weiter. Ausgerechnet der "Spiegel" mit seinem
stets wie eine Leuchtreklame vor sich hergetragenen Anspruch von Kultur als bierernster
Angelegenheit legte vor gut zwei Jahren den Finger in die Wunde. Warum das Publikum heute
nur mehr verächtlich die Nase rümpfe, wenn ein Jazzmusiker in seine Show gepflegte
Unterhaltungselemente einstreue, fragte Peter Bölke, der letzte wirkliche Jazzfan in den
Redaktionsstuben des Hamburger Nachrichtenmagazins. Vor allem bei Farbigen sei dies krass.
Kaum betätige sich nämlich einer von ihnen als Anekdotenerzähler oder
Grimassenschneider, würde sofort das uralte Klischee vom grinsenden, immerlustigen Onkel
Tom auferstehen. Dabei, so befand Bölke, brächte doch gerade ein wohldosierter Anteil an
Jokes und Anekdoten Leben in jede der mitunter wirklich stocksteifen Darbietungen. Das
Fazit klang deshalb wie ein Fanal für mehr Lockerheit: "Laßt ihnen ihre Show!"
Obwohl explizit keine Namen genannt wurden, wußte jeder halbwegs Eingeweihte, wen der
"Spiegel" mit diesem Appell meinte: Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und Clark
Terry, die Gaudiburschen schlechthin an der Trompete. Drei, die nie danach strebten, mit
ihrer hohen Kunst ausschließlich eigene Gelüste zu sättigen. Sie suchten vielmehr stets
den Kontakt zu den Menschen, zehrten vom Feedback, freuten sich, wenn sich andere über
ihre Musik freuten, und überzogen die streng intellektuell ausgerichtete Kaste des Jazz
mit Optimismus, Frohsinn und Leichtigkeit, ohne freilich in ihrem Vortrag
Differenzierungen, Sensibilität und Brillanz auszuklammern. Armstrong und Gillespie sind
tot, und damit ist das schwer zu fixierende Genre des Jazz-Entertainment fast vom
Aussterben bedroht. Wenn es da nicht noch Clark Terry gäbe. Zum ersten Mal traf ich den
aus St. Louis stammenden Schalk im März 1994 in Neuburg an der Donau. Mit den
"Newport Festival Allstars" sollte er dort gastieren, natürlich
Ellington-Reminiszenzen aus erster Hand zelebrieren und mit einem jugendlichen
Scharfmacher, dem zu dieser Zeit noch weitgehend unbekannten, 50 Jahre jüngeren
Trompeter-Kollegen Nicolas Payton, den Schalltrichter kreuzen. Obwohl Clark Terrys Beine
zu jener Zeit begannen, sich langsam gegen die Rastlosigkeit ihres Besitzers zu wehren,
schien ihn dies weder in seiner Umtriebigkeit zu hemmen, noch seine nie aufgesetzt
wirkende, chronisch gute Laune zu beeinträchtigen. Zum Ende meines für eine Radiosendung
mitgeschnittenen Interviews kam ihm plötzlich die Idee, zwei Teaser, also
Programmankündigungen, nach amerikanischem Broadcast-Muster zu sprechen. Zunächst einen
"konservativen" ("Hi, this is Clark Terry, you are listening to the
Blue Hour, the best jazzshow on the planet!"), dann einen
"hippen", rasend-schnell konstruiert aus Silben, Texten, Textfragmenten und
Genuschel. Terry nennt diesen Vokalstil seit 1964, als er mit Oscar Peterson die LP
"Trio Plus One" einspielte, "Mumbles" und macht sich damit über die
alten Bluesbarden lustig, "die nach den ersten Strophen nicht mehr so richtig zu
verstehen waren." Am Schluß folgte dann ein lang gezogenes, tief gebrummtes,
kehliges "Man, you gotta hear some goooood stuff!" Meine Tochter, damals zwei
Jahre alt, liebte diesen Teaser über alles, weil er sie, aber auch viele Erwachsene, so
herrlich zum Lachen bringen konnte. Fast scheint es, als versuche Clark Terry, am 14.
Dezember 1920 geboren, grund-sätzlich, den Widrigkeiten des Lebens mit einem massiven
Schutzschild aus Humor zu begegnen. Wie anders hätte sich eine entbehrungsreiche Kindheit
zusammen mit neun Geschwistern in der Hochphase der Rezession in den zwanziger Jahren
sonst überhaupt meistern lassen? Wenn der 78jährige erzählt, daß "meine Familie
ärmer war, als die Kirchenmäuse in Rußland," dann spricht daraus auch der leise
Stolz eines Überlebenskünstlers, der es geschafft hat, diesen schwierigen Verhältnissen
zu entfliehen und sich durch knochenharte Arbeit den Ruf eines der wichtigsten Jazzmusiker
des ausklingenden Jahrhunderts zu erwerben. Daß seine Karriere bereits mit einem Gag
begann, kommt deshalb kaum von ungefähr: schon als kleiner Junge formte Clark durch ein
aufgerolltes Stück Gartenschlauch seine ersten Töne. An der Vashion High School in St.
Louis galt sein Interesse zu-nächst einer Ventilposaune, aber wenig später entdeckte er
bereits den magischen Zauber der Trompete. Um die Privatstunden dafür finanzieren zu
können, versuchte sich der kräftige Bursche zunächst als Preisboxer, wechselte jedoch
schnell in das nicht minder risikoreiche Metier der lokalen Musikszene seiner Heimatstadt,
unter anderem als Begleiter von Ida Cox. Statt eines Fronteinsatzes bekam Clark Terry ab
1942 die Gelegenheit, in einer Allstar-Band der US-Navy unter der Leitung von Willie Smith
sein enormes Potential zu verfeinern. Später, als 25jähriger, machte er durch
Engagements bei Lionel Hampton, George Hudson, Charlie Barnet, Eddie "Cleanhead"
Vinson und Charlie Ventura so stark auf sich auf-merksam, daß Count Basie 1948 den jungen
Trompeter in sein Sextett um Buddy DeFranco, Freddie Greene, Jimmy Lewis, Gus Johnson und
Bob Graff holte. Die Liaison mit dem Count hielt drei Jahre, in denen sich Terrys große
Liebe zum Flügelhorn entwickelte, weil ihm dieses Instrument einen noch intimeren, nah am
emotionalen Ausdruck der Saxophonisten liegenden Sound gestattete. Es folgte 1951.
"Ich erfuhr, daß sich Duke Ellington für mich interessierte. Doch die Annäherung
gestaltete sich zunächst ausgesprochen schwierig. Ellington hatte mich zuvor bei Basie
gehört, wollte aber seinem alten Freund keine Musiker abwerben. Hinzu kam noch, daß
Basie kurz zuvor meine Gage um zehn auf 125 Dollar angehoben hatte. Ich war zu jener Zeit
allerdings sehr erschöpft und brauchte dringend Urlaub. So kam ein Deal zustande: ich
kündigte bei Basie und machte einen Monat Pause. Und diese Pause bezahlte mir Dukes Agent
mit 200 Dollar. Was lag also näher, als fortan bei ihm zu spielen. Ich sah mich jedoch
nie als Nachfolger von Rex Stewart mit seiner Halbventil-Technik. Diese Geschichte hat
Leonard Feather erfunden, und sie hängt mir seither wie ein Blutegel am Hals." Clark
Terry blieb bis 1959 bei Ellington. Ein Verhältnis, das stets auf gegensei-tiger
Wertschätzung basierte. Während der Duke seinen Trompeter als einen "Musiker
außerhalb jeder Kategorie" pries, betont Terry oft und gerne, "daß es Duke
war, der effektiv aus mir einen großen Mann machte." Er habe nie Stimmen für die
erste, zweite, dritte oder vierte Trompete geschrieben, sondern ganz individuell für ihn
sowie dessen legendäre Kollegen Cat Anderson, Shorty Baker und Ray Nance. "Er formte
uns nach seinen Vorstellungen, und wir haben uns bereitwillig formen lassen," bekennt
der Meister vokaler Tongebungen und Stimmungen. "Von ihm haben wir aber auch erst
erfahren, was Swing überhaupt bedeutet." Ob Basie oder Duke, Art Tatum, Charlie
Parker, Lester Young, Earl Hines, Thelonious Monk, Horace Silver, Gerry Mulligan, Ray
Charles, Ella Fitzgerald, Gil Evans oder sogar Cecil Taylor, mit denen er spielte, oder
sein Job als erster festangestellter farbiger Jazzmusiker im NBC-Orchester von Skitch
Henderson in Johnny Carsons "Tonight Show" ab 1960; derart einschneidende
Begegnungen und Erlebnisse prägen Clark Terrys zweites Gesicht. Denn neben dem begnadeten
Entertainer, der wie kein Zweiter virtuose Noten in positive Stimmungen zu packen
versteht, existiert da noch der selbstlose Förderer junger Talente. Als engagierter
Lehrer weiht Terry junge Trompeter am nach ihm benannten Jazzinstitut in Des Moines/ Iowa
in die Geheimnisse der Zirkularatmung ein, als anerkannter Fachmann verfaßte er
Standardwerke wie "Lets Talk Trumpet: From Legit To Jazz, Interpretation Of The
Jazz Language", unzähligen Kollegen rund um den Globus half er mit seiner immensen
Erfahrung, ihren persönlichen Stil zu entwickeln. Selbst an Miles Davis ging dessen
missionarischer Eifer nicht spurlos vorbei. Er bezeichnete ihn als seinen mithin
wichtigsten Einfluß. Clark Terry weiß genau, daß seine Kunst nur dann wirklich einen
unvergänglichen Wert besitzt, wenn sie auch in die Zukunft hinüberstrahlt. Dem in
München lebenden Trompeter Dusko Gojkovic hat sich ein Satz des langjährigen Mentors und
Wegbegleiters unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Als er sich eines Tages bei
Terry für die vielen verborgenen Hilfestellungen revanchieren wollte, legte ihm dieser
die Hand auf die Schulter und sagte: "Weißt Du was? Wenn eines Tages auch so ein
junger, begabter Trompeter zu Dir kommt und Dich fragt, wie etwas gespielt wird, dann gib
ihm alles weiter, was Du weißt. Damit kannst Du Deine Schuld begleichen. Trag die Fackel weiter!" |
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