Ausgabe September 1998 BÜCHER Kenny Wheeler collected Works on ECM complete Scores edited by Fred Sturm Universal Edition 70007 Autor: Dirk Meissner
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Das Buch ist 206
großformatige Seiten stark und bietet 1 Interview und 16 Kompositionen von Kenny Wheeler.
Die Stücke sind in den Jahren von 1976 bis 1997 entstanden und alle auf Cds bei ECM
dokumentiert. Das ganze Buch ist in Englisch geschrieben, alle Stücke sind in C-Konzert
und vor allem sehr liebevoll und sorgfältig auf der Grundlage der Originalmanuskripte
notiert. Über den Daumen gepeilt sind pro CD von K. W. etwa 2 Kompositionen vertreten,
nur vom Album "Music for Large & Small Ensemble" gibt es gleich 5 Stücke.
Hier sehe ich auch den Schwachpunkt des Buches, denn über 3/4 der Seiten sind mit Big
Band-Kompositionen gefüllt, obwohl K. W. zwar ein guter Big Band-Komponist ist, aber sein
Erfolg rührt doch eher vom Trompetenspielen und den Kompositionen für kleine Besetzungen
her, und hier hätte man lieber einige Solo-Transkriptionen von K. W. einfügen sollen,
als 153 Seiten Big Band-Partitur. In dem Interview meint K. W. selbst, es wäre
erstrebenswert, wenn zwischen Komposition und Improvisa-tion kaum mehr unterschieden
werden könne. Für eine Analyse wäre es in jedem Fall sehr interessant zu sehen, was er
bei Akkorden wie C maj 7 # 1 1 über B im Bass oder G-Dur über Eb auf seiner Trompete
für Melodien gestaltet. Vielleicht schlägt ja hier das Unverständnis eines
Klassik-Verlages wie Universal Edition der Improvisation gegenüber durch, schließlich
heißt das Buch eigentlich collected WORKS, nicht collected SCORES. Schade ist auch, daß
von den letzten Cds wie "Angel Song" oder "The Widow in den Window"
nicht mehr Stücke abgedruckt sind. Die Kompositionen selbst sind sehr genau aufgeschrieben und erinnern nicht mehr an die drögen Real Book Notationen, die der Jazzmusiker sonst so vor sich hat. Fast immer sind neben der Melodie noch eine Gegenmelodie, die exakten Voicings und rhythmische Struktur, sowie auch noch Dynamik und konkretes Ende des Stückes auf etwa 3 - 5 Seiten verzeichnet. Die Kompositionen eröffnen eine wunderbare Welt moderner Har- monik, Melodik und schwebender Melancholie. K. W. hat eine sehr eigenständige Komposi- tionssprache entwickelt, die aus vielen Ostinatofiguren, sequenzierten Intervallmotiven (Quarte, große Septime) unüblichen Formen (48, 36 oder 46 Takte) und eigenwilligen Akkorden (Durakkorde mit Septime oder akkordfremden Grundtönen im Bass, Major 7#5 und das Fehlen von reinen Major und Dominantakkorden) besteht. Die Big Band-Stücke sind immer für eine komplette Big Band mit Sopran statt 1. Altsax und zusätzlich noch für eine hohe Gesangsstimme und Trompete oder Flügelhorn geschrieben. Wer die Stücke allerdings mit seiner Big Band spielen will, muß sich die Einzelstimmen schon selber rausschreiben. Was bei den Kompositionen auch sehr ins Auge sticht, ist die unglaubliche Kontinuität der Musiker, die diese Stücke dann auch spielen. Alle Stücke wurden von Dave Holland am Bass eingespielt, John Taylor ist fast immer am Piano, John Abercrombie spielt fast alle Gitarren. Sieht man von Jack de Johnette ab, wurden auch alle Stücke von weißen Musikern eingespielt (genaugenommen sogar fast alle Cds von englischen Männern über 35), aufgenommen wurden alle von Jan Erik Kongshaug und alle Cds von Manfred Eicher für ECM produziert. Wem nützt das Buch? Zunächst können sich alle Fans von K. W. natürlich die Hände reiben, denn es ist ein gutes Buch und wird sicher ihre Anhängerschaft verstärken, jeder der sich für Jazzkomposition allgemein interessiert, wird hier auf einen Meister stoßen und sich an der Einfachheit und Klarheit ("With a good melody everything comes together") begeistern können. Ganz wertvoll ist das Buch für alle, die Jazzkompositionen analysieren wollen und bei "All the things you are" schon einiges gefunden haben, und schließlich wird es auch dem Jazz allgemein nutzen, denn Kompositionen auf diesem Niveau lassen etwa die GEMA Einordnung von Jazz -"Unterhaltungsmusik" nun völlig alt aussehen. Ich kann dieses Buch nur stürmisch begrüßen und würde mich über jedes andere freuen, welches in ähnlich angemessener Weise Jazzkomponisten der Öffentlichkeit zugänglich macht. |
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