![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Ausgabe
Juli/August 1998 Kurz aber wichtig Anderson, Ray |
München
Rettung bieten zumindest Dixie-Musikern einige Biergärten oder Riverboat-Shuffles, z.B. mit der Midlife Jazzband am 17.7. zu Starnberg. Festivals gibt es dabei wie Sand am Meer. Man muß nicht bis nach Montreux fahren. Im Tollwood gibt man sich jazzbewußter denn je, mit Herbie Hancock und seiner Wiederbelebung der Headhunters (1.7.), Candy Dulfer (3.7.), Jan Garbarek, dem norwegischen Saxophonisten mit dem nasalen, klagenden Sound (5.7.), Abdullah Ibrahim, dem Aushängeschild des südafrikanischen Jazz (6.7.) und dem funkigen Maceo Parker (12.7.). Ohne an den Fähigkeiten dieser Stars rütteln zu wollen: man hat genau jene Jazzer für das Musikzelt engagiert, in deren Konzerte sich auch jene verirren, die von Jazz eher vage Vorstellungen haben. So alternativ Tollwood auch begonnen haben mag daß es ebenso kommerziell rechnet wie jedes andere Festival, beweist diese Zusammenstellung. Kassengift wie Münchner Jazzmusiker (in früheren Jahren immerhin durch populäre Musiker wie z.B. Klaus Kreuzeder vertreten) treten nicht im Musikzelt auf. Man kann sie vereinzelt in anderen Zelten ausfindig machen, meist in Formationen, die man nur am Rande dem Jazz zurechnen kann: z.B. Unsere Lieblinge (9.7.). Münchner Klaviersommer? Irgendwie irreführend dieser Name, handelt es sich doch um ein internationales Musikfestival, bei dem keine Instrumente und nur wenige Stilrichtungen ausgeschlossen werden. Nun lockte es schon zum 17. Mal ebenso Jazzpuristen wie Grenzgänger zwischen Klassik, Pop, Avantgarde, lateinamerikanischer Musik and All That Jazz in die Isarmetropole. Immerhin haben einige Konzerte etwas mit Pianistik zu tun, und nur die wollen wir hier herausgreifen. Zweimal dürfen Sie raten! Natürlich sind Oscar Peterson und Chick Corea dabei, fast so sicher wie das Amen in der Kirche. Natürlich setzen die Veranstalter unverdrossen auf Zugpferde, die schon immer die Säle gefüllt haben und auf jene Musiker, die im gleichen Zeitraum ohnehin durch Europa touren und nicht extra teuer eingeflogen werden müssen. Es scheint, Größen wie Barry Harris, Roger Kellaway, Cecil Taylor, Dick Hyman, Adam Makowicz, Jay McShann, Roland Hanna oder Andrew Hill, um nur einmal unterschiedlichste Pianisten zu nennen, werden uns hier wohl nie geboten werden. Oscar Peterson gastiert am 22.7. in der Philharmonie. Von Jahr zu Jahr versammelt sich die Fan-Gemeinde in der Philharmonie, um zu überprüfen, wie sehr sich die linke Pranke des Tastenlöwen vom Schlaganfall des Jahres 1993 erholt hat. Da aber überspitzt formuliert viele moderne Jazzpianisten die Linke überwiegend zum Griff nach Whiskeyglas und Zigarre benutzen und sich im übrigen freuen, daß ein freundlicher Bassist oder gar Gitarrist neben ihnen steht, dem man diesen Bereich getrost überlassen kann, ist die Linke gar nicht das Problem. Die enorme Geläufigkeit und Anschlagkultur der Rechten gebietet immer noch genügend Ehrfurcht. Trotzdem war Petersons letztes Münchner Konzert kein ungetrübtes Vergnügen, da seine im Alter immer stärker werdende Neigung zu sentimentaler Melodik mit pseudoklassischen Einsprengseln eine allzu gefällige Masche ist. Mag sein, daß er damit leider genau den Nerv des Philharmonie-Publikums trifft, "Menschen, deren Gesichter man noch nie in einem Jazz-Club gesichtet hat und die Jazz-Konzerte vermutlich nur dann besuchen, wenn sie im Münchner Kulturzentrum gegeben werden. Dann glauben sie nämlich eine Garantie dafür zu besitzen, daß das Gebotene, wiewohl Jazz, trotzdem zur Kultur gehört. Tags darauf wird Stammstargast Chick Corea mit einer neuen akustischen Formation auftreten, daß heißt wenn nicht eine einstweilige Verfügung oder dergleichen den Scientologen wieder am Auftritt zu hindern versuchen. Was, wenn der Mann die Leute mit seiner Musik so sehr hypnotisiert, daß sie beim Autogrammholen selbst bereitwilligst vom Pianisten als Noten getarnte Beitrittserklärungen unterschreiben? Coreas Sextett "Origin", dem Musiker wie der Posaunist Steve Davis und der Bassist Avishai Cohen sowie Multiinstrumentalisten wie Steve Wilson und Bob Sheppard angehören, verspricht durch eine aparte Besetzung eine Ellingtonische Klangpalette im Kleinformat. Noch'n tüchtiger Pianist: Gonzalo Rubalcaba gibt sich am 14.7. im Night-Club des Bayerischen Hofes mit Jeff Chambers (b) und Ignacio Berroa (d) die Ehre. Auf dem Klaviersommer 1994 war Rubalcaba mit dem Ron Carter Trio aufgetreten. Damals führte er vor, zu welch seltsamen Blüten oft der Drang zur Originalität führt. Als hätte er es darauf abgesehen, jegliches herkömmliche, vor allem relaxte swing-feeling zu unterbinden, versteifte er sich auf nervöse Rhythmen, die unsere Versuche, mit dem Fuße zu wippen, schlicht hintertrieben. Und als sei jede überkommene Floskel der Feind der Musik, erweiterte er die Changes verfremdeter Standards, um darüber die denkbar unerwartetsten Wendungen anzubringen. Bei allem Respekt hat diese Art des Musizierens bei strengster Konsequenz zumindest für den Verfasser dieser Zeilen auch etwas Frustrierendes, wenn man nicht etwa im Free agiert, sondern im mit Latin durchsetzten Bop. Interessant ist es allemal. Während Carla Bley am 10.7. mit "Escalator Over The Hill" anreist, jener Jazz-Oper, die schon seit Jahrzehnten ein Mythos ist, obwohl sie erst im vergangenen Jahr in Köln uraufgeführt wurde, ist ihr Ex-Mann am 21.7. an der Seite von Lee Konitz und Charlie Haden zu hören. Der feinsinnige Pianist Paul Bley galt einst als "leiser Genius des Free Jazz". Die Zusammenarbeit mit Charlie Haden reicht nun schon über 40 Jahre zurück: Das von Bley 1958 geleitete Quintett, dem damals schon Haden angehörte, war die direkte Vorgänger-Band des revolutionären Ornette-Coleman-Quartetts. Wie Paul Bley hat auch der Vibraphonist Wolfgang Lackerschmid mit dem unvergessenen Chet Baker ein Duo-Album eingespielt. Wenn Lackerschmid wiederum am 3.Juli auf Lee Konitz trifft, dann ist im Ismaninger Kalmann-Museum kammermusikalischer Modern Jazz der Sonderklasse garantiert.
Immer noch ein paar Klaviersommer-Pianisten gefällig? Jasper van't Hof im Duo mit Dave Friedman am 14.7., Amina Claudine Myers bei Ray Anderson am 16.7. (am 13.7. im Jazzstudio Nürnberg) und Michael Cain mit Jack DeJohnette am 25.7. (am 20.7. im Jazz studio Nürnberg) im Night-Club des Bayerischen Hofes. Doch zurück zu Kreusch. Er ist mit "Scoop" (zur gleichnamigen ACT-CD siehe die Jazzzeitung vom Juni) am 26.7. eine der Attraktionen eines weiteren Festivals, dem Fest'98, das nun schon zum 16. Mal auf dem Feierwerk Gelände stattfindet. Bei freiem Eintritt gibt es nahezu täglich zwischen dem 17. und 26.7. neben Theater, Kabarett, Kinderprogramm, Tanz, Piercing, Clownerie & Co auch Jazz, z.B. am 18.7. das Adrian Mears-Guido May Drum-Bone Duo. Viele Künstler, die man vielleicht im Programm des Münchner Klaviersommers vermißt, treten heuer im Rahmen des Jazz Classica Festival im Schloß Elmau auf, das ebenso wie die Münchner Konkurrenz versucht, die Barrieren zwischen Jazz und Klassik einzureißen: Gary Burton beschwört am 10.7. mit dem Astor Piazzolla Quintett den Schatten des großen Meisters des Tango Nuevo. Ray Brown hat sich als primus inter pares mit dem "Nachwuchs" zusammengetan und bassiert am 16.7. mit Christian McBride und John Clayton um die Wette. Herbie Hancock (26.7.) spielt angeblich in diesem Sommer nur in Elmau rein akustisch, im Quartett. Die bei den Münchener Festivals vermißten Einheimischen, hier findet man sie: das Panama Jazz Ensemble präsentiert Jazz für Kinder (18.7.), während Stride-Matador Bernd Lhotzky am 12., 18. und 25.7. Tanzabende veranstaltet. Seit 8 Jahren besteht das Quartett der in Bayern ansässigen New Yorker Chris Hirson und Geoff Goodman, dem der Drummer Peter Perfido und der Bassist Henning Sieverts angehören. Am 4.7. begehen sie in der Unterfahrt den amerikanischen Nationalfeiertag. Der Saxophonist Hirson (Schüler eines Gitarristen!) und der Gitarrist Goodman (Schüler eines Saxophonisten!) musizieren schon seit 22 Jahren miteinander. Ihr traumwandlerisch sicheres Zusammenspiel, das an Gedankenlesen grenzt, ihre berührende Sensibilität und nicht zuletzt ihre kompositorische Raffinesse muß mit zum Besten im kammermusikalischem Jazz der 90er Jahre gerechnet werden. (Geoff Goodman an der Seite von Marty Cook (tb) und Gunnar Geise (g) zu hören gibt es am 21.7. in der Pasinger Fabrik Gelegenheit.) Apropos Henning Sieverts: Fans haben im Juli allein in der Unterfahrt noch mindestens vier weitere Male die Chance, den ausdrucksstarken Münchner Tieftöner zu erleben. Am 3.7. im Quintett des glänzenden Münchner Tenoristen Till Martin, am 10. und 11.7. im ebenfalls meisterlich boppenden Quintett des Trompeters Franz Weyerer und schließlich am 23.7. im Quartett des Baritonisten Michael Lutzeier, hinter dessen seltsamen Programmtitel "Music 4 Food" sich straight modern acoustic jazz verbirgt.
Bevor sie ab August in die Sommerpause geht, fährt die Pasinger Fabrik im Juli ein recht ausgedehntes Programm. Am 10.7. tritt hier das Joe Kienemann Trio mit dem Bassisten Thomas Stabenow und dem Drummer Stephan Eppinger in Erscheinung. Joe vergleicht das Trio gerne mit einem Hocker mit drei Beinen. Der könne im Vergleich zu einem vierbeinigen Stuhl nicht wakkeln und einem zweibeinigen nicht umfallen. Das Trio ist für Kienemann das Maximum an Freiheit, aber auch das Maximum an Gefordertsein und Aufeinanderangewiesensein. Noch ein Piano-Tip von der Fabrik. Martin Schmitt nennt sein SoloProgramm vom 9.7. "Boogie Woogie meets Bebop!" wer dachte, er, der Könner ließe sich auf Blues, Boogie und Stride eingrenzen, sollte hinschauen/ -horchen. Nachtrag in letzter Minute: Wer in der sommerlichen Hitze raus aus der Stadt will, kann vom 10. bis 12.7. bei "Jazz an der Donau" in Neuburg Zigeunerjazz und traditionellen Jazz in großartiger Freiluftkulisse erleben (siehe Jazz bundesweit unter "Neuburg"). MARCUS A. WOELFLE Hamburg Am 2. 7. spielt die "NDR Big Band" einmal eine richtig groovige Musik und tritt unter dem Motto "Hip and Hot" beim Campus Open Air in der Hamburger Universität an. Leiter Dieter Glawischnig will mit seinen Mannen das Studentenvolk zum Zappeln bringen. Um 20 Uhr gibt es statt Benny Goodman oder Neuer Musik einmal Funk, Soul und Latin im Big-Band-Format. Weil so eine heiße Musik auf die Dauer nicht gesund sein kann, spielt die NDR Big Band am 12. Juli dann gleich beim Kinderfest der ARD in Hannover/Messegelände um 15 Uhr. Bei dem Musikmärchen "Die geklauten Schlüssel" nach Renate Welsh wird als Gast und treibende Kraft der Moderator, Satiriker und Schriftsteller Henning Venske präsentiert, der mit der Band auf "Notenschlüsseljagd" geht. Zusätzlich wird das Ganze noch von dem Wiener Geiger Andreas Schreiber unterstützt, der sich für die Rolle des "Violinschlüsselwarts" zur Verfügung gestellt hat. Dieter Glawischnig hat die Musik komponiert und übernimmt die Leitung. Wie jedes Märchen ist auch dieses nicht nur für Kinder geeignet. Man kann auch in New Orleans aufwachsen und dann doch keinen New Orleans Jazz spielen, sondern erstmal ein bißchen Altsaxophon bei "Art Blakeys Jazz Messengers", dann bei Popmusikern wie Bruce Hornsby oder Sting Tenorund Sopransax, dann vielleicht zur Abwechslung mal Musikalischer Leiter in Jay Lenos "Tonight Show" werden oder vielleicht sogar in der "Clark Terry Big Band" mitspielen oder mit der Band "Buckshot le Fonque" den Hip Hop Markt von hinten aufrollen. Das klingt nach einem Lebensentwurf für eine ganze Familie, ist aber nur die Biographie von Branford Marsalis (obwohl er ja mit den Brüdern Wynton und Delfayo und Vater Ellis genug Unterstützung in der Familie hätte). Am 3. Juli kommt Branford mit seinem Trio "The Dark Keys" nach Hamburg und spielt Jazz in der Fabrik. Maria Schneider hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich schnell nach oben komponiert und ist im Moment eine der führenden Gestalten der internationalen Big Band Szene. Nachdem sie bei Gil Evans studiert hatte, ging sie ihren Weg vor allem über die Gast-Leitung von europäischen Big Bands. Durch ihren Plattendeal mit Enja hierzulande bekannt geworden, konnte sie mit Bands wie dem Stockholm Jazz Orchestra, der "Danish Radio Big Band", dem "Metropol Orchestra" oder auch der "Lüneburger Blechschaden Big Band" auftreten. Ihre eigene Band ist wie soviele große Formationen nur eine sporadisch auftretende und unterbezahlte Truppe. Doch sie spielten immerhin bereits beim Jazzfest Berlin, und für die neueste Platte gab es fünf Sterne vom Magazin Down Beat. Am 14. 7. sind Maria Schneider und Band zu Gast in der Fabrik. Dem Birdland wird's im Sommer zu heiß in Hamburg, und deshalb ist das Lokal gleich für zwei Monate geschlossen. Einzig die Jam Session jeden Donnerstag wollte sich von der drückenden Hitze über der Stadt nicht vertreiben lassen. Ein kleines Häufchen unerschrockener Musiker leistet dem Sommer erbitterten Widerstand und das, ohne Eintritt dafür zu verlangen. "Der Frühschoppen ist bei gutem Wetter auf dem Hubschrauberdeck", das klingt zwar nach "Jazz in der Kaserne", ist aber ein Versprechen vom Feuerschiff. Sollte das Wetter also doch einmal so warm werden, daß man unbeschadet im Freien sitzen kann, so erwarten den Dixielandfreund heiße Sonntage im Juli. Immer zwischen 11.00 und 14.30 Uhr spielen traditionelle Dixiebands auf der Elbe. Zum Beispiel die "Salt City Stompers" am 5.7., oder die "River Ramblers" am 19.7. und am 26.7. "Abbi Hübner und die Low Down Wizards". Wer wegen Urlaubsreise verhindert ist, dem empfiehlt sich die neu erschienene CD "Swinging Hamburg", die einen repräsentativen und unterhaltsamen Querschnitt der Hamburger Szene widerspiegelt. Kenny Garrett war einer von Miles Davis Überraschungen. Obwohl jeder auch noch so bekannte Saxophonist gerne in der Band von Miles gespielt hätte, stellte dieser sich den noch völlig unbekannten Garrett an die Seite. Und der Altsaxophonist konnte von Anfang an überzeugen. Nach dem Tod von Davis war man gespannt, ob sich Kenny Garrett als Bandleader durchsetzen könne. Seine letzten CDs brachten ihn dann auch mit an die Spitze der modernen Jazzmusik. Am 21. 7. spielt er ein Konzert in der Fabrik. |
|
Home |