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Ausgabe Juni 1998

INTERVIEW

"Ich hole mir den, den ich will"

Fünf Fragen an Bandleader Thilo Wolf

Autor: Reinhard Köchl

 

Thilo Wolf ist ein Phänomen. 30 Jahre alt und schon ein "alter Hase", seit sechs Jahren in der glücklichen Lage, sich eine eigene Bigband leisten zu können, bislang 20 CDs unter eigenem Namen veröffentlicht und seit 1992 einmal jährlich Hauptfigur der TV-Gala "Swing It!" des Bayerischen Fernsehens. Der Pianist, Schlagzeuger, Bandleader und Sproß einer angesehenen Fürther Industriellenfamilie schillert innerhalb der bundesrepublikanischen Jazzergilde wie eine Orchidee inmitten eines Feldes von Sumpfblumen und ruft zunehmend Neider auf den Plan, weil er im Gegensatz zu den meisten Kollegen reichhaltige Möglichkeiten besitzt, seinen Traum von Musik mit rasanter Geschwindigkeit auszuleben. Vor der diesjährigen Aufzeichnung für "Swing It!" in der Fürther Stadthalle mit den Stargästen John Pizzarelli, Bill Ramsey und Barbara Dennerlein hat Thilo Wolf der Jazzzeitung Auskunft über seine Motive und den Grund für seinen kometenhaften Aufstieg gegeben.

Jazzzeitung: Darf man Sie ein musikalisches Wunderkind nennen?

Thilo Wolf: Ich bin ein normaler Mensch mit einigen Talenten, die entsprechend gefördert wurden. In meiner Kindheit liefen bei uns zuhause häufig die alten Swingplatten meines Vaters, die sind mir auf Anhieb im Ohr hängengeblieben. Das war die Musik, die ich machen wollte, ich wußte es sofort.

Jazzzeitung: Welche Impulse kann ein 30jähriger der alten Dame "Bigband" denn noch geben?

Wolf: Durch die Tatsache, daß meine große Leidenschaft neben dem Klavier dem Schlagzeug gehört, schreibe ich unterbewußt sehr rhythmusbetonte Arrangements. Gute Musik kommt für mich aus dem Bauch und trifft auch dorthin. Das Publikum will an einem Nerv gepackt werden, um den viele seit Count Basie einen weiten Bogen gemacht haben, weil ihm angeblich die intellektuelle Tiefe abgeht. Im Programm meiner Bigband befinden sich jede Menge Standards, die ich in diesem Sinn überarbeitet habe.

Jazzzeitung: Auffällig in Ihrer Bigband ist die Dominanz der bayerischen Jazzszene. Ich denke da etwa an ihre Saxophonsection mit den Münchnern Thomas Zoller, Thomas Faist, Axel Kühn, Felix Sapotnik und Norbert Nagel, an den Nürnberger Andreas Blüml an der Gitarre, an Guido May am Schlagzeug oder den Perkussionisten Yogo Pausch. Ist das ein Grundsatz oder einfach nur eine Notwendigkeit?

Wolf: Ein Star macht noch lange keine Mannschaft. In einer Bigband müssen die Rädchen ansatzlos ineinander laufen. Das funktioniert aber nur, wenn die Mischung stimmt. Ich mache mir schon meine Gedanken, wer wo am besten hinpaßt. Grundvoraussetzung ist, daß jedes Mitglied absolut fit sein muß, problemlos vom Blatt lesen kann und sich seine Rolle verinnerlicht. Fünf Weltmeister mögen noch so hinreißende Soli abliefern. Aber ob sie eine so extrem anstrengende Sache wie "Swing It!" mitmachen - ich wage es mal zu bezweifeln. Die meisten Bigbands würden für eine derart aufwendige Produktion zwei Wochen Proben ansetzen. Wir machen das alles in zwei Tagen, gestern haben wir 14 Stunden geprobt, und jeder einzelne hat diszipliniert mitgezogen. Ich denke, wenn hier kein Mannschaftsgeist herrschen würde, ich hätte die Sache längst begraben müssen.

Jazzzeitung: Finanziell sind dem Ganzen enge Grenzen gesetzt. Mit Hilfe des Bayerischen Rundfunks kann so ein groáer Klangkörper einige Tage zusammenkommen, dann gibt es noch gelegentliche Engagements. An Tourneen mag 1998 angesichts der hohen Kosten sowieso niemand denken.

Wolf: Es ist ja kein Geheimnis, daß ich über ein zweites Standbein verfüge. Ich bin Diplom-Kaufmann und Chef unseres Fürther Familienbetriebes. Weil ich zu keinem Zeitpunkt finanziell von der Musik abhängig war, konnte ich es mir erlauben, hinsichtlich der Qualität meiner Mitmusiker und auch der anderen Aspekte, die dazugehören, nie Kompromisse eingehen zu müssen. Selbst wenn die Gesamtgage es mal nicht hergab, habe ich mir immer den geholt, den ich eben wollte, und habe den Rest einfach selbst draufgelegt. Oder ich habe mir das Arrangement gekauft, das mir gerade gefiel. Insofern kamen die Dinge einfach schneller ins Laufen und ermöglichten mir diesen langen Atem.

Die Aufzeichnung von "Swing It!" 1998 strahlt das Bayerische Fernsehen (Drittes Programm) am Pfingstmontag, 1. Juni, um 15.30 Uhr aus. Thilo Wolfs aktuelle CD mit Randy Brecker, Chuck Loeb, Wolfgang Haffner, Christian Diener heißt "A Swinging Hour In New York" (Mons MR 874 801/sunny moon).

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