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Ausgabe Mai 1998

PORTRAIT

Mal Waldron erzählt ...

"Ordentlich gekleidet, pünktlich, zuverlässig"

Autor: Ralf Dombrowski

Foto: Ssirus W. Pakzad

Mal WaldronMal Waldron lacht, kramt in den Taschen seiner Jacke, bis er einen kleinen Stapel mit fransigen Zeitungsausrissen in den Hand hält. Seine Cartoonsammlung, Clavin & Hobbes, Gary Larson, Peanuts, humoristische Andenken an Wochen, Monate in Fliegern und Hotels. Er lacht noch einmal und findet in einer anderen Tasche Photos von seiner Familie. Das war vielleicht ein Streß, als wir das letzte Mal zusammen in Japan unterwegs waren. Bei sieben Kindern muß man ständig aufpassen, daß man nicht irgendwo eines vergißt. Der Schalk sitzt ihm im Nacken, wenn er von seinen fernöstlichen Verehrern erzählt. Manchmal ist es eigenartig. Wenn Europäer zum Beispiel ein Autogramm wollen, kommen sie mit einer Platte. Japaner bringen ihre ganze Sammlung mit. Dafür sind sie sonst sehr diszipliniert, können aufmerksam zuhören. Nein, in Japan geht's mir immer richtig gut. Denn dort ist Waldron seit mehr als einem Vierteljahrhundert ein Star und füllt alljährlich große Konzerthallen. Mehr als anderswo ist den Menschen von Tokio bis Osaka bewußt, daß sie eine Legende vor sich haben, einen der wenigen noch lebenden Musiker, der mit bald allen berühmten Jazz-Kollegen von Charles Mingus bis John Coltrane gearbeitet hat.

Und ich hatte wirklich Glück, daß ich in der richtigen Zeit groß geworden bin, um mit all den unglaublichen Musikern zusammenzutreffen. Geboren 1925 in New York, wuchs Waldron in musikalischem Elternhaus auf. Mein Vater hatte eine stattliche Plattensammlung. Wagner, Brahms und so. Als ich anfing, Klavier zu lernen, begann ich daher erst einmal mit Klassik. Es war eine harte Zeit, denn ich hatte einen deutschen Lehrer, der mich ständig herumkommandierte. Nein! So kannst du das nicht machen! Du mußt es so spielen! Irgendwann stieß ich auf Coleman Hawkins' Aufnahme von 'Body & Soul' und stellte fest, daß Jazz meine Musik ist. Ich kaufte mir ein Altsaxophon, weil ich für ein Tenor nicht genug Geld hatte und lernte darauf ein wenig spielen. Dann hörte ich Charlie Parker und blieb doch beim Klavier.

An neuen Eindrücken hat es dem jungen Waldron nicht gemangelt. Als musikbegeisterter Teenager lümmelte er nächtens in 'Minton's Playhouse' in Harlem oder in der 52nd Street herum, hörte fasziniert den hitzigen jungen Beboppern bei ihrer Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu. Meine Güte, war ich schüchtern! Ich drückte mich immer möglichst unauffällig in den Clubs herum. Auf die Bühne habe ich mich zu der Zeit noch nicht getraut. So setzte Waldron am Queens College zunächst seine klassischen Klavier-Studien fort. Plattenaufnahmen wagte er erst in den späten Vierzigern als Sideman des Bluessängers Ike Quebec. Dann aber ging es Schlag auf Schlag. In der Zeit mit Mingus zum Beispiel habe ich enorm viel gelernt. Wenn er gesagt hat: Spiel es so!, dann habe ich es so gespielt. Wenn er gesagt hat: Mach es anders!, habe ich es anders gemacht. Waldron war dabei, seinen eigenen, an der reduzierten Schrulligkeit von Thelonious Monk orientierten Klavierstil zu entwickeln, der sich im Unterschied zur Skalenlastigkeit der Handbopper immer am harmonischen Gerüst vielfältig variierter Chords orientiert. Bald wirkte er bei Mingus' "Phitecantropus Erectus" und "Blues & Roots" mit und gehörte als Hauspianist und Musikalischer Leiter bei Prestige/New Jazz zu den viel beschäftigten Pianisten seiner Zeit. Das Rezept war einfach: Ordentlich gekleidet, pünktlich, zuverlässig sein und schon hatte man den Job. Er arbeitete mit Hank Mobley, Jackie McLean, Steve Lacy, John Coltrane. Und traf auf Billie Holiday - eine wunderbare Frau! -, die er während ihrer letzten zwei Lebensjahre bis 1959 begleitete. Mit ihr tourte er auch durch Europa und hatte daher, als er gefragt wurde, ob er nicht den Soundtrack zu Marcel Carnés "Trois Chambres à Manhattan" (1964) machen wolle, schon eine Ahnung davon, was ihn erwartete. Das Leben in der Alten Welt behagte ihm. Waldron blieb in Paris, dann in Bologna, Rom, Holland, schließlich 1967 in München. Eine tolle Zeit. Ich habe einige Monate über dem Domicile in der Siegesstraße gewohnt. Da war richtig was los! Doch seit einigen Jahren lebt er in Brüssel. Als das nach der Wende immer schlimmer wurde mit den Skinheads und diesen komischen Leuten, habe ich beschlossen, aus Deutschland wegzuziehen. Ich hatte keine Lust, mir als alter Mann noch eins auf die Mütze geben zu lassen. In Brüssel sind die Leute richtig freundlich, tolerant. Da ist es völlig egal, wie man ausschaut. Man wird so akzeptiert, wie man ist.

Und im belgischen Antwerpen ist im vergangenen August auch seine neue Platte entstanden. "Soul Eyes" ist quasi ein Edel-Ständchen zum 72sten Geburtstag, das Waldron mit Freundinnen und Freunden wie Abbey Lincoln, Jeanne Lee, Joe Henderson, Andrew Cyrille und Reggie Workman aufgenommen hat. Nur Steve Coleman war nicht persönlich erschienen und hat erst Monate später seinen Saxophon-Part zu den Bändern geblasen. Das Resultat der zweitägigen Recording Session ist ein ungezwungenes Album mit gewohnt sprödem Charme, mal monkisch swingend, mal geläutert kontemplativ und voll verquerem musikalischem Humor. Unter 300 Platten und 400 Kompositionen des Meisters ein weiteres, gelungenes Puzzlesteinchen im menschlichen Gesamtkunstwerk Mal Waldron.

Mal Waldron: Soul Eyes (RCA Victor/BMG 74321 538872)

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