Ausgabe Mai
1998 FILM BLUE NOTE ¾ Autor: Richard Wiedamann |
Dieser Tage läuft
Julian Benedikts Film über das Plattenlabel BLUE NOTE in
den deutschen Kinos an. Der Film ist mehr als die
Dokumentation einer jazzgeschichtlichen Zeitspanne, er
wurde zum swingenden Zeugnis der musikalisch so
bedeutsamen Entstehungsphase dessen, was den Swing
ablöste und zunächst recht grobflächig unter dem
Sammelbegriff "modern jazz" gehandelt wurde.
Blue Note dokumentierte diese Musik vom Bebop eines Bud
Powell über den Cooljazz eines Miles Davis, den Hardbop
der Adderley-Brothers bis zum Soul Jazz eines Horace
Silver, um nur einige Eckdaten zu nennen. So ziemlich
alles, was in diesen Bereichen etwas zu sagen hatte, was
die Entwicklung vorantrieb, traf sich bei Blue Note. So
stand dem Autor und Regisseur Julian Benedikt eine Fülle
hochkarätigen Materials zur Verfügung. Daß er eine
diesem dienende, ja kongeniale Darstellungsform fand, ist
einfach bewundernswert. So häufen sich die positiven
Stellungnahmen nur zu recht. Der Film ist in vielerlei Hinsicht interessant. Gerade als deutscher Jazzfan kommt man aus Assoziationen, nachhaltigen Gedanken verschiedenster Art nicht heraus. Das beginnt zunächst ganz harmlos beim Autor. Wann hat sich ein deutscher Regisseur so ausführlich dieser Musik zugewandt, sie und ihr Umfeld so aussagekräftig dargestellt? - Brisanter werden die Eindrücke schon bei der kurzen Skizze des Kulturzentrums Berlin, dessen "internationaler" Glamour vor dem unsichtbaren historischen Hintergrund aus heutiger Sicht gespenstisch frivol anmutet. Erfährt man dann, daß die Gründer des Blue Note-Labels, Alfred Lion und Francis Wolff, zwei 1939 emigrierte deutsche Juden waren, läßt dies quasi beiläufig - der Film arbeitet nur mit sehr dezenten Hinweisen - den immer wieder vergangen geglaubten Wahnsinn voll aufleuchten. Ich bin Jahrgang 1932, gehöre also der Nachkriegsgeneration an, die nicht nur die ersten Berührungen mit dem Jazz, sondern auch die direkten Auswirkungen dieser grandiosesten Pleite unserer Geschichte genießen durfte. Vielleicht reagiere ich deshalb so penibel. Aber der Alptraum hält sich latent auch noch in einer Reihe Äußerungen, die das Leben der beiden schildern. Dabei ist es weniger das, was gesagt wird, als vielmehr das, was nicht gesagt wird. Viele der zu Worte kommenden Musiker schildern die herausragenden Eigenschaften der Firmengründer. So ist es vor allem die - bei den Plattenherstellern auch damals nicht übliche - Gewährung künstlerischer Freiheit, die menschliche Akzeptanz der Musiker, die Toleranz gegenüber den individuellen Ausprägungen, die diese heterogene "Familie" erstklassiger Topmusiker zusammenbringt. Es verwundert nicht, daß diese Einstellung auch die technischen Bereiche, wie Sound, Grafik und Fotos mit erfaßt, auch hier zählen Kreativität und Innovation. Indem die "Chefs", soweit sie hier nicht direkt selbst tätig werden, ihre Partner als eigenständige Persönlichkeiten akzeptieren, gestalten sie ihr Unternehmen wie die Musiker ihr Material. Alle zusammen schaffen dabei ein faszinierendes Kapitel der Jazzgeschichte. Der Film fängt all diese Töne und Zwischentöne, diese vorder- und hintergründigen Stimmungen, diese Parameter einer kulturellen Entwicklungsphase hervorragend ein, dokumentiert sie nicht nur, läßt sie lebendig werden. Er ist jenseits aller Assoziationen sehens- und vor allem auch hörenswert. Dennoch: irgendwie kann es einen schon nachdenklich stimmen, wenn man sieht, wie das Leben so seine Kreise zieht. Da jagen wir unsere eigenen Leute wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, einem Volksstamm, einem Glauben, wegen ihrer Originalität, ihrer Individualität, ihrer Nichtangepaßtheit aus dem Land, entfernen damit die besten und können dann nur noch staunend ihre anderswo entstehenden Werke zur Kenntnis nehmen. "1000 Jahre" nach ihrer Emigration kehrten Lion und Wolff somit durch ihre Werke wieder zurück. Das BLUE-NOTE-Label ist nach wie vor präsent. Ein versöhnlicher Schluß also? Könnte es sein, wären da nicht die Bedenkenträger, die PDSler, die Linken, die Rechten, die Asylanten... Wir sollten wachsam sein! |
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