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Ausgabe April 1998

REFLEKTIONEN

Autor: Richard Wiedamann

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Gabi’s Calling

Gabi steckt voll im Komponieren, badet dazwischen in Wolkenbrüchen und landet so schließlich mit massiven Erkältungserscheinungen im Bett. So erreichte uns diesmal nur eine fiebergeschüttelte Fehlanzeige. Bleibt uns nur, gute Besserung zu wünschen und die Freunde unserer "Transatlantic"-Kolumne um Nachsicht zu bitten. Gabi wird sicher bald gesund und sich dann wieder melden.


Das Erbe der Väter

Letzten Monat brachten wir die Nachricht vom Tode Attila Zollers. Immer mehr häufen sich die Fälle, wo uns mehr oder weniger vertraute Namen verlassen. Gehört man - wie ich - dem Jahrgang 1932 an, kommen die "Einschläge" immer näher. Die Generationen der ersten und zweiten Stunde treten ab. "Goin’ to shout all over God’s Heaven" sang Louis Armstrong und singt es - die Technik machts möglich - noch immer.
Die Zahl der Musiker, die den "sweet chariot" zur letzten Fahrt nutzen, nimmt zu. Wir lesen darüber und begleiten sie oft in Gedanken. Mehr und mehr machen sich aber auch die auf den Weg, die selbst nicht gespielt, dafür aber emsig alles zusammengetragen, aufbewahrt haben, was das Leben ihrer Idole dokumentiert und nach wie vor gegenwärtig sein läßt: die Fans der ersten Stunde zwischen den beiden Weltkriegen, aber zunehmend auch die der zweiten, über die der Jazz als leuchtende Fackel der Freiheit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges niederging. Haben Sie mitbekommen, daß - um nur einen zu nennen - Dr. Klaus Stratemann, Autor von zwei phänomenalen Büchern über Ellington und Armstrong, von uns gegangen ist? Kannten Sie ihn, kennen Sie seine Bücher?
Konnte er sein Lebenswerk sichtbar machen, den von ihm verehrten Musikern zur Ehre, seinen Freunden als Vermächtnis hinterlassen, gibt es eine große Zahl von Jazzfreunden, denen dies nicht gelingt, die es vielleicht auch gar nicht wollen. Ich spreche von den Sammlern, die ein Leben lang Schrift- und Tonerzeugnisse zusammentragen, akribisch erfassen und damit letztlich Kulturphänomene verschiedenster Art unter verschiedensten Aspekten dokumentieren, der Nachwelt, sprich dieser unserer Gesellschaft, erhalten. Häufig begleitet werden sie dabei von Frauen, die sich - meist dem Gatten zuliebe - ganz mit in den Dienst der Aufgabe stellen. Ohne finanzielle Rücklagen, die fielen schließlich dem "Projekt" zum Opfer, sitzen sie schließlich mit dem Vermächtnis in Form von Schallplatten, Tonbändern und x-tausend Seiten persönlicher Notizen in einer keineswegs freundlich interessierten Umwelt da. Wie gehen wir damit um?
Dem Bayerischen Jazzinstitut sind gegenwärtig drei derartige Sammlungen zum Kauf angeboten. Die dafür erwarteten Geldbeträge liegen abgrundtief unter dem ideellen Wert, sind der kulturellen Bedeutung entsprechend mehr als angemessen, also im Prinzip durchaus in Ordnung, nur - das Institut hat dafür keine, geschweige denn ausreichende Mittel. Anfragen der Betroffenen bei Bibliotheken oder anderen in Frage kommender Einrichtungen blieben ergebnislos. In einem Fall bemüht sich das Institut nun schon seit etwa vier Jahren um eine Lösung, ohne Erfolg.
Eine kürzliche Anfrage bei unserem Kollegen Wolfram Knauer vom Jazzinstitut Darmstadt erbrachte: dem Institut liegen so viele Schenkungsangebote vor, daß Ankäufe - unabhängig von den nicht vorhandenen Mitteln - nicht zu rechtfertigen wären, auch könnte die Aufarbeitung derartiger Sammlungen personell gar nicht bewältigt werden. Das Institut nimmt selbst Schenkungen nur dann an, wenn sie an keinerlei Auflagen gebunden sind, sortiert dann die Spreu vom Weizen, nimmt gewissermaßen die "Entsorgung" vor. Keine Chancen also für das "Erbe der Väter", auch nicht für die, auf die es überkommen ist!
Wie so oft wollen wir uns auch hier nicht einfach damit abfinden. Wieder einmal fällt schmerzlich ins Gewicht, daß unser finanzieller Spielraum für solche kulturpolitisch notwendigen Anstrengungen einfach zu gering ist. 1996 riefen wir - ohne Erfolg - in der damaligen Institutszeitschrift "Jazz Spot" zur Gründung einer "Stiftung Jazz" auf. Beim Blättern in alten Jazz-Zeitschriften fiel uns ein ähnlicher Aufruf von Hans Ruhland vom Dezember 1984 in die Hände. Anscheinend hatte auch er damals kein Glück. Warum eigentlich nicht? Es gibt mit Sicherheit eine Menge dem Jazz zugetaner Leute, die es auch zu Geld gebracht haben. Könnten Sie sich nicht zusammentun und - vielleicht unter Anleitung eines sachkundigen, jazzinfiszierten Bankers - eine finanzielle Basis in Form einer unabhängigen Stiftung schaffen und damit unter anderem auch die Bewahrung des "Erbes der Väter" sicherstellen? Das Bayerische Jazzinstitut (0941/562244) würde die vorbereitende Koordination derartiger Bemühungen und eine daraus eventuell erwachsende Geschäftsführungsfunktion gerne übernehmen.


There’s Music In The Air

Eigentlich ohne großes werbewirksames Brimborium, gewissermaßen mit cooler Selbstverständlichkeit hat der Bayerische Rundfunk in diesem Jahr seine Sendezeiten für Jazz ausgeweitet. Sicher haben das viele mit freudiger Genugtuung zur Kenntnis genommen. Mit ebenso vornehmem Understatement erschien der Jazz plötzlich auf der Klassik-Welle "Bayern 4". Das ist schon eine kleine kulturpolitische Sensation.
Natürlich gibt es auch in diesem Lande viele Leute, einschließlich des Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, die den kulturellen Stellenwert des Jazz durchaus einzu-schätzen wissen. Allgemeingut ist diese Einschätzung aber noch lange nicht. Der Abbau altüberkommenen Schubladendenkens zugunsten der Akzeptanz innovativer, qualitativ hochwertiger zeitgemäßer musikalischer Erscheinungsformen kommt weiß Gott nur zögerlich voran. Gerade die Medien verhalten sich in dieser Hinsicht oft nicht gerade progressiv fordernd, setzen lieber auf Masse denn auf Qualität.
Einzelkämpfer gab und gibt es erfreulicherweise immer wieder. So erinnert sich der Verfasser an eine vor Jahren nächtens im BR ausgestrahlte Sendung, die der Sprecher mit unbewegter Selbstverständlichkeit, so als gäbe es das jeden Abend, ankündigte: "Sie hören jetzt eine Gegenüberstellung der Verarbeitung von Balkanrhythmen bei Bela Bartok und Don Ellis". Mir fiel vor Überraschung der Kugelschreiber aus der Hand. - Nun, die Regel war das beileibe nicht. Jetzt also demonstrieren die Verantwortlichen im BR, daß sie durchaus um kulturelle Wertigkeiten wissen und auch - ganz unabhängig von GEMA-Einschätzungen und anderen seltsamen "Markt"-Meinungen - für solche Überzeugungen einzutreten bereit sind. Jazz auf der Klassikwelle "Bayern 4" - Respekt! Es ist schon erstaunlich: wenn die Frustrationen über permanente Niveauabsenkungen am stärksten sind, passiert in diesem Lande immer wieder irgendetwas, was Mut macht. Vielleicht gibt es sie tatsächlich, die vielzitierte "liberalitas bavariae". Jedenfalls macht es immer wieder Spaß, in diesem Land zu leben und sie zu suchen - auch als Jazzer.