Ausgabe April
1998 PORTRAIT Günther Klatt Autor: Hans Jürgen Schaal Aktuelle CD: |
Die Platte erschien im
Eigenverlag und hieß "Strangehorn". Selten
wurde ein Name überzeugender gewählt: Das Titelstück
beschwor die Tonsprache von Ellingtons "alter
ego" Billy Strayhorn und verwandelte sie zugleich,
ließ Vergangenheit und Gegenwart aufeinanderprallen,
legte im Alten die Wurzeln des Neuen frei, machte aus
Strayhorn einen "Strangehorn". Dieses
"verrückte Horn", das waren Günther Klatt
selber und sein Tenorsaxophon: Jazz-Tradition gegen den
Strich gebürstet. Strayhorn und Ellington wurden zur dauerhaften Obsession in Klatts Leben. "Balladen spielen ist das, was ich am liebsten tue und am besten kann", sagt Klatt, der nicht nur Musiker ist, sondern auch Maler, Graphiker, Bildhauer, Bühnenbildner. "Ein Saxophonsolo spielen oder ein Bild malen: Das sind zwar ganz verschiedene Medien, aber eigentlich ist das genau dasselbe. Musikalisch denke ich in Formen und Farben. Für mich haben Balladen mehr mit Frauen und Malerei zu tun als mit irgendwas anderem. Manche sind impressionistische Collagen, andere sparsam und intim, wieder andere die pure Attacke." Man hört die Farben in Klatts Spiel: die Wechsel zwischen grellem Staccato und schattigem Vibrato, zwischen Leidenschaft und Melancholie, Aggressivität und Zärtlichkeit, Schrill und Sonor. Mit 19 Jahren hat ihn das Saxophon "gepackt wie ein Kralle" und ließ ihn nicht mehr los. Klatt hat sich das Spielen selbst beigebracht und so die Klischees der Jazz-Didaktik umgangen. Darin gründet seine eigentliche Magie: Der Venedig-Liebhaber und Renaissance-Mensch Klatt will Geschichten erzählen, unbekümmert um die technischen Aspekte des Saxophonspiels. Manchmal packt er das ganze Ausdrucksspektrum seines Instruments in nur wenige Takte. Das Ergebnis: ein Übermaß an Expressivität oder schlicht eine anachronistische Verstörung. Denn in Klatts leidenschaftlichen Balladen ist immer auch ein Moment der Übertreibung, des kritischen Bruchs, der Abstraktion in verschiedenen Graden: kantige Schrägheiten, große Intervalle, Verzweiflung und Härte. Ein Ben Webster, modern reflektiert. Ein Coleman Hawkins im Licht von Neonkacheln. Reverenz und Zertrümmerung in einem. "Balladen sind in sich abgeschlossene Geschichten", sagt Klatt. "Unentschlossenheit hat hier nichts zu suchen." Schon seine Duoplatte mit Aki Takase übersetzte 1990 konsequent die Kunstform Jazz-Ballade in die Jetztzeit: Ob Klatt Ellingtons "Prelude to a Kiss" spielte, Strayhorns "Lush Life" oder seine eigene Komposition "Giudecca", die Ballade war damals schon ein komplettes Medium aller saxophonistischen Nuancen zwischen gestern und morgen, ein mutig hingeworfenes Klang-Gemälde voll unberechenbarer Intensität. In dem Pianisten Tizian Jost fand Klatt einen dauerhaften Partner für diese zerbrechliche, aber starke, den musikalischen Kosmos neu ordnende Duo-Kunst. Eine Kunst, die nur aus Essenz und Sinnlichkeit besteht, unverfälscht von Ideologien, Kommerz oder trügerischen Arrangements. "Es ist eine beständige Zusammenarbeit mit Tizian, das ist entscheidend. Ich sage zum Beispiel: Ich will hier hellblau, kannst du hellblau spielen? Tizian schaute da am Anfang ziemlich komisch, und dann erfanden wir Hellblau. Seitdem unsere Sprache etwas anders geworden ist, genügt es zu sagen: Machen wir etwas Dunkelbraunes! Ein Duo ist wie ein Gespräch zwischen zwei Leuten, und mit keinem anderen würde das die Qualität erreichen, die es mit Tizian hat. Du kannst die Dauer der Zusammenarbeit durch nichts anderes ersetzen." Die farbenreichen Offenbarungen ereignen sich nicht nur in Vaterstetten oder Ismaning, sondern auch auf ausgedehnten Tourneen durch Süd- und Mittelamerika. Im April 1993 spielte das Duo in Mexico City vor 2.500 begeisterten Zuhörern: "Es war eine Sternstunde, weil das Publikum wahnsinnig toll war und unglaublich reagiert hat. Das hat sich auch musikalisch niedergeschlagen." Nach dem Konzert präsentierte der Tonmeister stolz einen Zwei-Kanal-Mitschnitt auf DAT-Kassette, vier Jahre später erschien er auf CD: die zeitlose Momentaufnahme einer improvisierten Leidenschaft. In den technischen Angaben heißt es: "Recording Engineer: Unknown". Günther Klatt wurden viele Etiketten verpaßt: Shooting Star des deutschen Jazz, bester Tenorist in Europa, die Zukunft des Tenorspiels. Er gewann den 1. Preis der International Jazz Federation, vertrat Deutschland bei ausländischen Musikfesten, wurde von der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet und erhielt den Kulturpreis der Stadt München. Mit provozierenden Formationen wie den "Elephantrombones" und zeitgeistigen Rhythmen wie mit "Razzmatazz" sorgte er auf Festivals und Tourneen für Aufsehen. Doch seine eigentliche Heimat ist seit 10 Jahren die Duo-Ballade, und ein Ende ist nicht abzusehen: "Es gibt viel zu wenige Leute, die gehört haben, was wir machen." Klatts zweites Standbein als bildender Künstler für Film, Fernsehen und Theater erspart ihm, in der Musik Kompromisse schließen zu müssen. "Musik ist für mich etwas Heiliges, etwas Gutes, etwas Starkes und soll diesen Charakter behalten. Ich habe mal einen venezianischen Straßenmaler verfolgt. Es sah nach Regen aus, und er machte eine wahnsinnig tolle Madonna mit Kreide. Ich dachte: Der ist eine Art von Jazzmusiker. Eine Madonna, die beim nächsten Regen weg ist: das ist wie ein Jazzkonzert." Was davon bleibt, sind die Bilder im Kopf des Publikums. Bilder aus Kreide oder aus Saxophonlinien. |
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