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Ausgabe April 1998

INTERVIEW

Die Entdeckung
des Femininen

Das neue Dave Holland
Quintett im Bayerischen Hof

Interview: Andreas Kolb:

Fotos: Ssirius W. Pakzad

Konzerttermine:
14.4. München,
Bayerischer Hof,
15.4. Düsseldorf
19.4. Gütersloh
20.4. Köln, Stadtgarten
22.4. Syke
27.4. Basel

Internetadresse: www.citw.com/holland

 

Bekannte und neue Namen finden sich im aktuellen Quintett von Dave Holland. Augenzwinkernd spricht er selbst von "Holland & Sons" in lautmalerischer Anspielung auf die Namen seiner Musiker: Steve Wilson (ss, as), Steve Nelson (vib) und Billy Kilson (dr). Cassandra Wilson ist dieses Mal leider nicht dabei. Dagegen gehört Ausnahmeposaunist Robin Eubanks seit Mitte der achtziger Jahre zur Familie. Andreas Kolb traf sich mit Dave Holland zum Gespräch über seine neue Platte und über sein neues Quintett, mit dem der Bassist im April auch in München gastiert.

Jazzzeitung: Bei Ihrem neuen Album, "Points Of View", sind Sie gleichzeitig Produzent, Komponist der meisten Stücke, Bandleader und selbstverständlich Bassist. Welche Rolle dominiert?
Dave Holland: Ich versuche die Rollen zu trennen. Wenn wir spielen, dann versuche ich, meine Aufgaben als Bandleader beiseite zu stellen und beteilige mich an der eigenen Band wie an jedem anderem Projekt. Die Leitung meiner Band versuche ich bereits in der Musik anzulegen, ohne dabei mehr als nötig zu kontrollieren. Einer der wesentlichen Punkte, nach denen ich als Bandleader strebe, ist es, den Musikern nur eine "gentle direction", eine Richtung vorzugeben, und dabei dem Einzelnen so viel als möglich Individualität und Verantwortung zu übertragen. So bringt man am besten die Talente dieser großartigen Interpreten zur Geltung.
Jazzzeitung: In Ihrem aktuellen Quintett finden sich bekannte Gesichter und vertraute Klänge. Aber es tauchen mit Steve Wilson und Billy Kilson auch neue Namen auf. Nach welchen Gesichtspunkten haben sie die Auswahl getroffen?
Holland: Als ich diese Gruppe zusammenstellte, wollte ich wenigstens zwei Hörner als Bläsersection. Robin Eubanks war Posaunist in einer Gruppe, die ich Mitte der achtziger Jahre hatte. Er kam als Nachfolger von Julian Priester. Ich habe ein große Vorliebe für die Posaune, ich mag den Sound, und Robert ist ein wunderbarer Spieler mit einem wunderbaren Ton in allen Lagen. Steve Wilson traf ich vor zwei Jahren bei einer Aufnahme für eine Platte von Billy Childs namens "The Child Within". Er beeindruckte mich damals sehr, besonders mit seinem schönen, singenden Soprano-Sound. Steve Nelson war auch bei der letzten CD, "Dream Of The Elders", mit dabei. Bei ihm mag ich den durchsichtigen Klang seines Vibraphons, ein Instrument das auch perkussive Qualitäten hat. Anders als beim Klavier kann man nur Akkorde mit höchstens vier Tönen produzieren. Das ergibt zwangsläufig eine gewiße Struktur der Akkorde, die ich mag. Ideale Akkordbegleiter sind für mich Duke Ellington, Theolonius Monk und Geri Allen. Daran können Sie sehen, daß ich eine orchestrale Idee verfolge. Es geht nicht darum, ständig Changes zu spielen. Steve Nelson spielt oft lange Zeit nichts, um dann auf einmal eine große Wirkung zu erzielen, indem er zwei Töne anschlägt. Billy Kilson traf ich vor neun Jahren und immer wenn Gene Jackson nicht erreichbar war, rief ich Billy für die Gigs an. Für jedes Stück das wir spielten, probte er so lange eine andere Stimmung, bis er das Gefühl hatte, daß sie jetzt zum Charakter jeden Stückes paßte. Den Sound, den Klang seiner Instrumente nimmt er sehr wichtig. Beispielsweise sucht er die passenden Becken für ein bestimmtes Stück dadurch aus, indem er die Melodie singt und dazu verschiedene Becken ausprobiert. Außerdem nenne ich ihn den "Groove master", ich denke er ist einer der großen jungen Drummer in der aktuellen Szene.
Jazzzeitung: Was unterscheidet Ihre neue Platte von den vorherigen Quintettaufnahmen?
Holland: Für mich hat die "Points Of View" eine Verbindung mit meiner frühesten Aufnahme, "Conference Of The Birds", die ich zusammen mit Sam Rivers, Anthony Braxton und Barry Altschul gemacht habe. Auch heute lege ich Wert auf eine starke melodische Komponente sowie interessante rhythmische Qualitäten. Das zieht sich durch meine gesamte Arbeit und eigentlich suche ich nur immer wieder neue Wege, dies darzustellen, manchmal auch abhängig davon, wer die Musiker sind. Denn die Musik komponiere ich stets mit der Vorstellung von den Möglichkeiten der jeweiligen Interpreten. Die Konstellationen ändern sich aus diesen Gründen immer wieder, aber ich hoffe es gibt eine Kontinuität in meinem Werk. Ich will eine Musik schaffen, die simpel und komplex zugleich ist. Dadurch kann ein Zuhörer, der die Musik neu kennenlernt, Zugang finden, aber auch ein erfahrenerer Hörer kann auf seine Kosten kommen. Duke Ellington machte das so wunderbar in seiner Musik. Man konnte aus dem Konzert gehen und eine Melodie pfeifen und zur gleichen Zeit hatte seine Musik die Komplexität moderner Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Diese Balance zwischen simplen und komplexen Elementen ist das Ideal, das ich anstrebe.
Jazzzeitung: Aber es gibt nicht nur Kontinuität?
Holland: In den vergangenen zehn Jahren wollte ich etwas stärker in meine Musik aufnehmen, was ich das feminine Element nenne. Jazz kann sehr aggressiv, sehr maskulin sein. Das müssen wir auch zeigen. Aber es gibt auch den behutsamen, Geborgenheit vermittelnden, femininen Aspekt in dieser Musik und der wurde mir immer wichtiger.
Jazzzeitung: Ich hatte den Eindruck, Ihre Musik wird relaxter und ruht mehr in sich als früher. So gibt es nur ein Stück in einem schnelleren Tempo auf der neuen CD.
Holland: Das mag zutreffen, die Musik ist relaxter. Das reflektiert, daß ich mehr in Frieden mit mir selber bin. Ich bin gefestigter und weiß genauer als früher, was mir mir gefällt und was mir liegt. Ich will meine Musik klarer machen.
Jazzzeitung: Ist das Album "Points Of View" nicht beinahe Teil zwei der Vorgänger-CD "Dream Of The Elders"?
Holland: Absolut. Es liegen nur wenige Jahre zwischen den Produktionen. Es steckt dasselbe harmonische, melodische und rhythmische Konzept dahinter, nur eben weiterentwickelt. Es zählt zu einer Periode, in der ich mit geschlossenen Formen arbeitete, kombiniert mit offenen Teilen, die weit ausgedehnt werden können und von denen man dann zurück in die ursprüngliche Form gehen kann.
Jazzzeitung: ECM-Produzent Manfred Eicher spielte selbst Kontrabaß. Sicher hat er ein besonderes Verhältnis zu diesem Instrument. Könnte das ein Grund für die große Zahl von zehn Holland-CDs bei ECM sein – Produktionen mit anderen Musikern wie Kenny Wheeler oder Chick Corea nicht mitgerechnet?
Holland: Als ich 1971 mit "Circle" nach Europa kam, war eines meiner ersten Engagements ein Projekt beim NDR. Die Idee des Projekts war, "Circle" zusammenzubringen mit dem John Surman, Stu Martin, Barre Phillips sowie einigen anderen Musikern, darunter Kenny Wheeler und Albert Mangelsdorff. Nach einer Probe im Studio hatten wir eine Pause. Alle anderen Musiker gingen essen, nur Barre Phillips und ich blieben im Studio und spielten, was uns eben einfiel. Als wir aufhörten, kam ein Mann aus dem Zuschauerraum und stellte sich vor: "Ich bin Manfred Eicher und habe kürzlich ein Label, ECM Records, gegründet. Was Sie eben taten, war wundervoll. Ist es möglich, daß ich das Duett aufnehmen kann?" Ich dachte, jede Plattenfirma, die zwei Bassisten gemeinsam aufnehmen will, ist o.k. Einige Monate später gingen wir ins Studio und nahmen unser Duett-Album zusammen auf. Das war das erste von vielen Alben, darunter mit Derek Bailey, Chick Corea und und.... Es war der Anfang einer siebenundzwanzigjährigen Zusammenarbeit und Freundschaft.
Jazzzeitung: Es gibt die Anektdote wie Miles Davis Sie in einem englischen Club "entdeckte" und engagierte. Heute sind Sie etabliert und bekannt. Welche Musiker haben Sie entdeckt?
Holland: In gewißer Weise keinen, denn ich denke über Musik nicht in solchen Kategorien. Wenn du ein guter Musiker bist, dann wird es irgendwann einmal in deinem Leben eine Bühne geben, wo jemand dir die Möglichkeit gibt, ein größeres Publikum anzusprechen. Das Schicksal der Musiker liegt in ihren eigenen Händen. Aber es gibt eine Art von Verantwortung der älteren Musiker. Die müssen in ihre Bands neue Spieler hineinnehmen. Es ist ja nicht nur so, daß die Jüngeren dann die Chance kriegen, mit mir zu spielen, sondern daß umgekehrt auch ich die Chance habe mit ihnen zu spielen. Die junge Generation bringt neue Energie, neue Ideen, neue Referenzwerte. Miles ist ein gutes Beispiel dafür, denn er nahm immer wieder junge Musiker und er veränderte sich in all den Jahren ständig – nicht essentiell, aber er änderte stets den Kontext.
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