Ausgabe April
1998 NEUE CD Charlie Haden Autor: Ralf Dombrowski |
Charlie
Haden "The Montreal Tapes" with Geri Allen/Paul Motian Verve 537 483-2 Du kannst Jazzmusiker mit Auszeichnungen, Medienaufmerksamkeit, ja vielleicht sogar mit Geld überhäufen, aber eine größere Anerkennung für eine künstlerische Gesamtleistung als die "carte blanche" des "Festival International de Jazz" in Montreal gibt es nicht. Wer in den seltenen Genuß dieses Privilegs kommt, der darf sich für das renommierte Festival fast ohne Einschränkungen seine absoluten Lieblingskollegen aussuchen und an mehreren Abenden hintereinander mit ihnen auftreten. Da versteht wohl jeder, warum Charlie Haden während seiner acht Sonderkonzerte in der kanadischen Olympiastadt zwischen dem 30. Juni und dem 8. Juli 1989 beinahe unablässig kundtat, daß er sich wie im Himmel fühle. Nachdem das "Verve"-Label schon 1994 zwei der Realität gewordenen Wunschträume des Bassisten (mit Paul Bley und Paul Motian sowie mit Don Cherry und Ed Blackwell) auf CD veröffentlichte, folgen nun weitere Dokumente dieser huldvoll inszenierten Haden-Gala. Wenn sich der heute 60jährige in diesen beiden "Montreal Tapes" ganz bewußt auf das Pianotrio konzentrierte, so tat er dies, um in der klassischen Form bewußt nach neuen Herausforderungen zu suchen. Mit der hinreißenden Geri Allen an den Tasten unternahmen er und der Drummer Paul Motian eine rauschhafte Tauchfahrt hinab in die lange, dunkle Tradition des Blues, erkundeten auf dem tiefen Grund das traditionelle Fundament des Jazz, um darauf eigene, komplexe Gebilde voller Expressivität und Farbenpracht zu bauen. Die Homage "For John Malachi", die Geri Allen dem weitgehend vergessenen Pianisten und Begleiter von Trummy Young, Charlie Parker, Billy Eckstine oder Louis Jordan widmete, stellte für das Trio so etwas wie das große Leitmotto des Events dar: zügelloses Überschreiten der Grenzen, Exkurse ohne jedwede Beschränkungen, aber doch immer wieder die Rückkehr zum gemeinsamen Ausgangspunkt des Ur-Groove. Charlie Haden Einer wie Haden paßt mit seinen sorgsam konstruierten Linien, seinem schlüssig-melodischen Konzept und seinem hintergründigen Swing perfekt in diese, wie auch in andere, zum Teil völlig gegensätzliche Landschaften. Etwa in das klassisch-karibische Ambiente, welches die Combo um Motian sowie den Elfenbeinderwisch Gonzalo Rubalcaba am 3. Juli 1989 konstruierte und das wegen seiner Komplexität und überschäumenden Dynamik wohl zu den besten Aufnahmen des Kubaners, aber auch seiner beiden kongenialen Partner zählt. Nachdem Rubalcaba 1986 von Charlie Haden beim "Jazz Plaza Festival" in Havanna entdeckt wurde, brannte dieser förmlich darauf, abermals mit dem jungen Virtuosen zu musizieren. Die angespannte politische Situation erlaubte zunächst nur ein Treffen auf neutralem Terrain, weshalb die Gelegenheit in Montreal günstig schien. Es muß wohl an der immensen Erwartungshaltung aller Beteiligten gelegen haben, daß sich der lang ersehnte Austausch anfänglich bedächtig leise entwickelt, das Trio sich ausgesprochen vorsichtig aufeinander zubewegt. Ein Abtasten, ein Fühlen des Gleichklangs, des Pfades musikalischer Kommunikation, das schließlich in einem selbstvergessen-temperamentvollen Gipfel der mikrotonalen Feinheiten, der eruptiven Ausbrüche, der verblüffenden Tempowechsel endet. So etwas weckt automatisch Appetit auf die anderen Delikatessen der Haden`schen "carte blanche". In den Archiven von "French Radio Music" schlummern tatsächlich noch Aufnahmen mit Joe Henderson und Al Foster, Pat Metheny und Jack DeJohnette, Egberto Gismonti sowie dem aktualisierten "Liberation Music Orchestra". Her damit! |
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