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Februar 1998 VORBERICHT Drei Gaukler auf dem Portrait eines ungewöhnlichen Autor: Eines der wenigen |
Die
Welt ist klein und das Leben kurz. Zu wenig Platz, um
abzutauchen, kaum Zeit, um Höhenflüge zu inszenieren.
Alles geht seinen geregelten Gang, einheitlich, normiert,
gleichgehobelt, selbst im Jazz, wo die künstlerische
Freiheit angeblich grenzenlos sein soll. Standards,
Swing, Chorus-Bridge-Solo-Chorus, den Beat über die
Hi-hat, den Baß im Off, Saxophone klingen entweder wie
Coltrane, Rollins oder Hawkins, Gitarre - na ja, Orgel -
vielleicht, Trio bleibt Trio, ein Quartett ein Quartett
und Jerry Roll Morton grinst sich im Himmel eins und ist
froh, nicht mehr dabei sein zu müssen. Schon erstaunlich, diese ganze Selbstbeschränkung, mit der sich das Genre seit einiger Zeit lähmt. Nachdem der früher so frische Jazzrock offenkundig zur charttauglichen Fusion mutiert und sich der wütende, völlig losgelöste Freejazz der 60er und 70er längst als das entlarvt hat, was er eigentlich immer war, nämlich musikalische Egomanie, herrscht bei der verzweifelten Suche nach Neuland zunehmend Ratlosigkeit. Gut, daß in solchen Zeiten regelmäßig gestandene Outlaws vom Schlage eines Joe Lovano, eines Bill Frisell oder eines Paul Motian auftauchen. Drei Desperados, für die die ungeschriebenen Gesetze des Business nur dazu taugen, um sie konsequent zu übertreten. Obwohl dem Alter des rebellischen Youngsters längst entwachsen, setzen sie heute einen unverrückbaren Maßstab in Sachen Phantasie, Ideenreichtum, Wagemut und Innovation. Wer meint, daß dies angesichts der windigen Konkurrenz von Samples, Loops und rappenden Milchbubis kaum schwerfallen dürfte, übersieht, daß die bekennenden Soundfetischisten ihr nonkonformistisches Handwerk schon seit nahezu zwei Jahrzehnten ausüben. Entweder mit eigenen Projekten oder aber gemeinsam im dienstältesten und vielleicht auch skurrilsten Trio der Szene. Motian, der 66jährige Melodiker an den Drums, geboren in Philadelphia, gestählt durch seine Arbeit mit George Russell, Oscar Pettiford, Coleman Hawkins, Lennie Tristano, Tony Scott, Sonny Rollins, John Coltrane, dem Folksänger Arlo Guthrie (in Woodstock), Mose Allison, Keith Jarrett und vor allem dem Pianisten Bill Evans. Frisell, der 47jährige Abenteurer an der Gitarre, geboren in Baltimore, bekannt durch seine organisierte Provokation "Naked City" mit John Zorn, Wayne Horvitz, Fred Frith und Joey Baron sowie die Projekte mit Julius Hemphill, Ginger Baker, Jan Garbarek, Marianne Faithful oder Marc Johnson ("Bass Desires"). Lovano, der 46jährige Erfinder am Tenorsaxophon, geboren in Cleveland, überhäuft mit Auszeichnungen für seine "Blue Note"-Alben "Rush Hour" (1995), "Live At The Village Vanguard" (1996) und "Celebrating Sinatra" (1997) sowie seine verblüffenden instrumentalen Leistungen. Eine Liäson aus überschäumendem Spaß, aber auch aus Vernunft, weil das Zusammensein jedem der drei ermöglicht, den Akku bei den anderen wieder aufzuladen. Seit über 15 Jahren besteht die von Paul Motian ins Leben gerufene Formation nun schon und verblüfft ihre Klientel seither ohne Unterlaß mit einem Maximaloutput an kreativer Energie, zarten Pinselstrichen, wuchtig-aggressiven Tongewittern, hypnotischer Intensität und fragmentarischer Exaktheit, ohne sich auch nur ein einziges Mal dabei zu wiederholen. Interplay als unerlernbare Form der (Jazz-)Kunst. Die Troika hat sie längst kultiviert. Ihre Triebfeder: das Faszinosum des überraschenden Augenblicks. Kontinuierlich bauen die Burschen an ihrem gemeinsamen Haus, stets auf der Suche nach unbekannten Materialien, ungehörten Klangfragmenten, wobei sie meistens bei den unerhörten hängen bleiben. Die Rollen verteilen sich sprunghaft. Motian taucht da auf, wo niemand seinen Einsatz erwartet. Er füllt den Raum zwischen den Noten mit seinem räumlichen, formbaren Spiel, er denkt sich in Frisells Gitarre, in Lovanos Horn hinein. Wichtig sei für ihn der Austausch, die Wechselwirkung, das Probieren, das kreative Resultat, der Flirt mit dem Risiko. "Es geht mir um die Musik, um gute, ideenreiche Musik," sagt der Schlagzeuger. "Ich habe schon eine Menge probiert, aber diese Gruppe - das ist etwas ganz Besonderes!" 1980 erhielt er von Pat Metheny den Tip, sich einmal den bis dato unbekannten Zupfer Frisell zu Gemüte zu führen. Daraus entstand zunächst die Urformation der "Electric Bebop Band", an der neben Bill Frisell noch Mike Stern als zweiter Gitarrist und der Bassist Mark Egan mitwirkten, dann ein Quintett mit dem Bassisten Ed Schuller, dem Altsaxophonisten Billy Drewes, Frisell und Joe Lovano am Tenorsaxophon. Doch der Triogedanke war Paul Motian seit jenen bahnbrechenden Erfolgen mit Bill Evans und Scott LaFaro besonders ans Herz gewachsen, weil dieser, in absoluten Vollendung ausgeführt, die Trennlinie zwischen Solo- und Begleitmusikern vollständig ausradieren kann. Die Kraft der Schenkel eines musikalischen Dreiecks verträgt den fließenden Übergang von klaren Strukturen über kunstvoll versperrte Themen aus dem Real Book bis hin zu freien Improvisation. Und so agieren die drei auch. Gleichberechtigt neben Motian läßt Frisell seinen Gitarrenkorpus in der Sprache digitaler Modifikationen plaudern, während Lovano derweil lyrische Schleifen zieht und kantige Überblaslinien voll rauher Schönheit formt. Wie Gaukler auf einem imaginären Hochseil jonglieren sie mit Emotionen und reiben ihre divergierenden Charaktere aneinander. Ihre aktuelle CD "Sounds Of Love" (Artist Edition Winter & Winter 910008-2), aufgenommen im Juli 1995 im New Yorker "Village Vanguard", will den Mutlosen zeigen, daß es abseits der ausgelatschten Pfade noch genügend Wege gibt, die zum großen Ziel führen können. REINHARD KÖCHL |
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