Passionsspiele in Bayreuth: Jazz und Sauerkraut?

(Text und Fotos: Robert Fischer) Irgendjemand sollte mal eine Geschichte all der freien Veranstaltungen und Initiativen schreiben, die sich mit bewunderungswürdigem Engagement einer gemeinsamen Passion widmen: dem Jazz in all seinen Spielformen und Varianten.

In Bayreuth zum Beispiel gibt es das Jazzforum, einen eingetragenen Verein mit rund 220 Mitgliedern, der das ganze Jahr über 15 bis 20 Clubkonzerte und zwei Festivals organisiert – das PijaZZo (Pianojazz im Palais) um Pfingsten herum und den Bayreuther Jazz-November. Letzterer fand in diesem Jahr bereits zum 17. Mal statt, vom 7. bis zum 10. November im Saal des Becher Bräus, der ältesten Brauereigaststätte der Stadt. Die Wahl dieses urigen Orts als Hauptbühne der Veranstaltungsreihe soll übrigens dem einen oder anderen Vereinsmitglied zunächst ein Runzeln auf die Stirn gezaubert haben, verbunden mit der Frage: Jazz und Sauerkraut – kann das gut gehen?

Fränkische Spezialitäten

Es kann, auch wenn in diesem Jahr gar kein Sauer-, dafür Blaukraut als Beilage zu fränkischen Spezialitäten auf der Speisekarte des Restaurants stand. Souverän programmiert und  charmant moderiert wurde das längst bis weit über die Stadt hinaus bekannte Festival auch in diesem Jahr wieder von Kaspar Schlösser, der in seiner Arbeit auf die Unterstützung von Vorstandskollegen wie Susanne Horn und Gerhard Zeidler sowie eine beeindruckende Riege ehrenamtlicher Mitarbeiter zählen kann. Dass jemand wie er auch viel zu erzählen hat, versteht sich qua Amt und Erfahrung von selbst. Vielleicht die schönste Anekdote aus vergangenen Jahren handelt von der Saxophonistin Lakecia Benjamin, der auf offener Bühne das Instrument zerbrach. Was noch gar nicht so erzählenswert wäre (jedenfalls nicht für diejenigen, die mit der kraftvoll-energetischen Performance dieser Künstlerin vertraut sind). Erwähnenswert ist  vielmehr der glückliche Zufall, dass an diesem Abend in Bayreuth jemand im Publikum war, der ein Saxofon im Auto hatte, das er sogleich zu holen bereit war und mit dem Lakecia Benjamin das Konzert schließlich doch noch zu einem glücklichen Ende bringen konnte …

Vorbildliche Musikerbetreuung

Kleinere Malaisen des Veranstalter- und Musikerlebens können jemanden wie Kaspar Schlösser und sein Team kaum noch erschüttern. Etwa jene, die in diesem Jahr dem Pablo Held Trio widerfuhr, das mit dem Gitarristen Nelson Veras aus Florenz eingeflogen war. Nach der Zwischenstation in Frankfurt stand man dann leider ohne Gitarre da. Klar, dass daraufhin mal eben jemand vom Team Jazz Bayreuth eine Ersatzgitarre besorgte, mit der das Konzert begonnen werden konnte. Klar auch, dass nach dem ersten Drittel noch Veras’ eigenes Instrument auf die Bühne gereicht werden konnte, das man ebenfalls herangeschafft hatte.

Eine derart vorbildliche Musikerbetreuung – zu der auch die Verköstigung mit exzellenten kulinarischen Genüssen vor den Konzerten, gutes Equipment auf der Bühne und ein sehr guter Sound im Saal gehören – sorgt  dafür, dass auch die namhaftesten Größen der Szene gern nach Bayreuth kommen. Wo sie auf ein angenehm aufmerksames, aufgeschlossenes, kenntnisreich-informiertes Publikum treffen.

Voller Körpereinsatz

Den Auftakt am ersten Tag im Bechersaal machte in diesem Jahr das Emile Parisien Quartet, das vorwiegend Material das aktuellen Albums „Let Them Cook“ spielte und damit auch sein 20-jähriges Bühnenjubiläum feierte. Deutlich wurde dabei einmal mehr, dass der stets mit vollem Körpereinsatz agierende, unglaublich virtuos ganz in seiner Musik aufgehende Emile Parisien nicht nur ein „Solitär am Sopran(saxofon)“ ist, als den ihn Oliver Hochkeppel mal bezeichnete, sondern dass er mit seiner hervorragenden Band in einer ganz eigenen Liga spielt. Deren Mitglieder Ivan Célugne (Bass), Julien Loutelier (Schlagzeug) und Julien Touéry (Klavier) steuern alle auch eigene Kompositionen bei.

Ein Kontrastprogramm bot danach im Kunst- und Kulturhaus Neuneinhalb das Drum’n Voice-Duo Boom mit dem Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer und der Sängerin, Rapperin und Performerin Layla Carter. Was erkennbar darauf ausgerichtet ist, auch ein jüngeres Publikum anzusprechen, bedeutet für Eisenhauer ein back to the roots – schließlich spielte er schon mit seinem Trio Elf zunächst bei Jungle-Raves in DJ-Clubs und war immer an einer Auflösung tatsächlicher oder vermeintlicher Stilgrenzen interessiert.

Phänomenales Gitarrenspiel

Der zweite Tag begann mit dem bereits erwähnten Pablo Held Trio feat. Nelson Veras auf der Hauptbühne im Becher Bräu. Der in Köln lebende Pianist, der mit Robert Landfermann am Bass und Jonas Burgwinkel am Schlagzeug zwei der besten Vertreter ihres jeweiligen Fachs an seiner Seite hat, outete sich dabei als „Fan“ des von ihm gefeaturten Nelson Veras. Mit dem brasilianischen Gitarristen hat er inzwischen drei Alben veröffentlicht: „Ascent“, „Descent“ und aktuell in diesem Jahr „Unity“. Erstaunlicher noch als das phänomenale Spiel des Gitarristen (der in seinem Auftreten auf der Bühne so unprätentiös-bescheiden wirkt, dass man fast übersehen könnte, was der Mann tatsächlich alles kann!), ist vielleicht nur noch der kreative Output von Pablo Held. Mit seinem Trio hat Held ebenfalls in diesem Jahr bereits ein ergreifend schönes Standards-Album vorgelegt, das genauso wie die Kollaboration mit Nelson Varas zeigt, dass er sich offenbar in jede Stilform, die ihn interessiert und berührt, so einzufühlen vermag, dass sie wie seine ureigene wirkt.

 

Rising Star Emma Rawicz

Zum Spätkonzert in der Kleinkunstbühne Zentrum reiste der Saxophon-Rising Star Emma Rawicz an: ohne den Vibrafonisten Jim Hart, mit dem die junge Britin erst kürzlich beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt zu erleben war. Mit dabei war stattdessen die Sängerin Aitzi Cofre Real, die das Ganze scattend und oft in enger Parallelführung mit den Melodielinien des Saxophons bereicherte. Mit ihren wunderbaren Mitmusikern Kevin Glasgow am Bass, Marc Michel am Schlagzeug und Ivo Neame am Klavier, die alle auch in Frankfurt mit Emma Rawicz auf der Bühne standen, spielte das Quintett vorwiegend Material aus dem aktuellen Album „Croma“ – begeistert vom Publikum gefeiert.

Frozen Silence

Der dritte – und für den Berichterstatter letzte – Tag des Festivals begann mit dem Maciej Obara Quartet auf der Hauptbühne im Bechersaal. Das mit Gard Nilssen am Schlagzeug und Ole Marten Vågan am Bass sowie Dominik Wania am Klavier ebenfalls exzellent besetzte Quartett des polnischen Saxofonisten spielte vor allem Musik aus ihrem aktuellen Album. Erstaunlicherweise heißt dieses „Frozen Silence“, obwohl es auf der Bühne durchaus „laut und heiß“ zugeht.

Noch lauter war danach das Leo Betzl Trio (LBT) mit dem Namensgeber am Klavier, Maximilian Hirning am Bass und Sebastian Wolfgruber am Schlagzeug auf der Kleinkunstbühne im Zentrum: zu laut sogar, für manche. Was schade ist, denn dieses Trio hat seit 2016 vier Alben veröffentlicht –„Levitation“, „Way up in the Blue“, „Stereo“ und „Abstrakt“. Eines ist besser als das andere, und wenn es mit rechten Dingen zuginge, wenn also Originalität, Innovation und musikalische Kunstfertigkeit schon für sich allein karrierefördernde Tugenden wären, müsste das Trio längst wie einst e.s.t. in mittelgroßen Hallen ab 1.000, 2.000 Zuschauern spielen.

Voll Stoff im Zeichen der Kickdrum

Weil dem aber (noch) nicht so ist, gibt es das Trio seit einiger Zeit in zwei Versionen – mit einem zuförderst technoorientierten, gut 80 Minuten „vollen Stoff im Zeichen der Kickdrum“ gebenden Technoprogramm und einem zweiten, die jazztypischen Tugenden von Improvisation und artifizieller Spielfreude mehr betonendem Trio-Programm. In Bayreuth war das Techno-Programm zu hören, was aus Sicht des auch ein jüngeres, (noch) nicht so jazzaffinenen Publikums ansprechen wollenden Veranstalters verständlich, aber trotzdem schade ist. Denn so rhythmisch ausgeklügelt und sich auch in der Konzentration auf ausschließlich akustische, teils selbst erfundene Instrumente weit über die üblichen Formen des Genres erhebend das Techno-Programm auch ist – die jazzbetonte Variante findet jedenfalls der Berichterstatter noch um einiges interessanter. Zum Glück wird es aber auch diese Variante schon bald in Bayreuth zu hören geben: beim pijaZZo um Pfingsten 2025 im Palais.

Bleibt anzufügen, dass am abschließenden Sonntag noch die Olga Dudkova Band in einem Preisträgerkonzert für den Förderpreis des Bayerischen Jazzverbands und das Alba Armengou Trio auf dem Programm des rundum gelungenen, perfekt organsierten Festivals standen, zu dem man die Bayreuther nur beglückwünschen kann.

Text und Fotos: Robert Fischer

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2 Kommentare

  1. Da bekommt man Lust mal nach Bayreuth zu fahren, das ich bisher nur mit Wagner verbunden hatte. Vielleicht Pfingsten – schau mer mal.
    Vielen Dank für die Anregung.

Kommentare sind geschlossen.